Wie bei der NPD

Bertelsmann-Studie beobachtet eine weitere Radikalisierung der AfD und ihrer Wählerbasis

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit der AfD und dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) verhält es sich aktuell wie mit dem Gedankenexperiment Schrödingers Katze: Die Öffentlichkeit hat keine Information darüber, ob die Partei vom obersten deutschen Geheimdienst nicht längst als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft wurde. Dabei hat sich das BfV vergangene Woche eher unfreiwillig zur Blackbox erklärt. Aktuell klagt die AfD vor dem Kölner Verwaltungsgericht gegen ihre mögliche Einstufung. Um Schaden vom weiteren Verfahren abzuwenden und eine juristisch wasserfeste Entscheidung treffen zu können, kam der Verfassungsschutz deshalb mit einer sogenannten Stillhaltezusage dem Gericht und damit auch der AfD ein weites Stück entgegen. Bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung verzichtet der Geheimdienst darauf, öffentlich darüber Auskunft zu geben, ob er die Partei als Verdachtsfall führt. Ebenso verpflichtet sich das BfV, Mandatsträger*innen der Partei in den Landtagen als auch im Bundestag sowie im Europaparlament vorerst nicht durch den Einsatz von V-Leuten oder mittels Telefonüberwachung genauer ins Visier zu nehmen.

Das Dilemma: Obwohl es sich um ein Eilverfahren handelt, könnten bis zu einer Urteilsverkündung Monate vergehen. Läuft es aus Sicht der AfD optimal, kommen die Richter*innen erst nach der Bundestagswahl zu einer Entscheidung. Die Partei könnte somit ohne das Etikett »rechtsextremistischer Verdachtsfall« in den Wahlkampf ziehen, obwohl sie womöglich dann längst als solcher vom Verfassungsschutz geführt wird.

Ob die juristische Auseinandersetzung zwischen AfD und Geheimdienst allerdings wirklich wahlentscheidend für die Partei ist, muss aufgrund einer am Montag vorgestellten Studie der Bertelsmann Stiftung zumindest mit einem großen Fragezeichen versehen werden. Die Forscher*innen fanden in einer repräsentativen Befragung heraus, dass mehr als die Hälfte der AfD-Wähler*innen ein geschlossenes oder teilweise rechtsextremes Weltbild vertritt, 87 Prozent sind klar oder zumindest teilweise rechtspopulistisch. »Das Einstellungsprofil der AfD-Wählerschaft ähnelt damit dem Profil der rechtsextremen NPD sehr viel stärker als dem Einstellungsprofil der anderen im Bundestag vertretenen Parteien«, so die Wissenschaftler*innen.

Die AfD sei damit »seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland die erste mehrheitlich rechtsextrem eingestellte Wählerpartei im Bundestag«, heißt es in einer Zusammenfassung der Untersuchung. Die Partei scheint dabei das Potenzial rechtsextrem eingestellter Wähler*innen größtenteils auf sich zu kanalisieren. Unter allen Wahlberechtigten in Deutschland finden sich 7,7 Prozent mit einem geschlossen rechtsextremen Weltbild, andere Parteien mit einem ähnlichen Programm spielen bei Wahlen auf Landes- und Bundesebene aber keine Rolle. Allerdings: Selbst unter den Wähler*innen der Unionsparteien zeigten sechs Prozent gefestigte rechtsextreme Einstellungen, bei FDP und Linkspartei traf dies auf fünf Prozent zu.

Für ihre Studie werteten die Forscher*innen die Ergebnisse einer im vergangenen Juni durchgeführten repräsentativen Onlinebefragung mit mehr als 10 000 Teilnehmer*innen aus. Dafür mussten Fragen zu den Themen Nationalsozialismus, Antisemitismus, Chauvinismus, Fremdenfeindlichkeit und Befürwortung eines rassistischen Sozialdarwinismus beantwortet werden. Demnach würde beispielsweise die Hälfte aller AfD-Wähler*innen »unter bestimmten Umständen« die Einführung einer rechtsgerichteten Diktatur befürworten. Ähnlich hoch ist die zumindest teilweise Zustimmung zu der These, dass der Diktator Adolf Hitler ohne die Judenvernichtung heute als großer Staatsmann angesehen werden würde.

Auch beobachten die Forscher*innen bei der AfD und ihrer Anhängerschaft eine weitere Radikalisierung. »Mag ihr Wahlerfolg bei der Bundestagswahl 2017 noch vor allem ein Erfolg rechtspopulistischer Wählermobilisierung im Schatten der Flüchtlingskrise gewesen sein«, so die Wissenschaftler*innen, so zeige sich die AfD vor der Bundestagswahl 2021 »als eine mehrheitlich durch rechtsextreme Einstellungen ihrer Wähler*innen geprägte Partei, deren rechtsextreme ihre ursprünglich eher rechtspopulistische Orientierung inzwischen dominiert.«

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Demokrat*innen können es sich auf Grundlage der vorliegenden Ergebnisse allerdings nicht leicht machen und Probleme mit rechten Einstellungen allein bei der AfD und ihrer Anhängerschaft verorten. So seien Chauvinismus und Fremdenfeindlichkeit laut den Forscher*innen auch unter allen Wähler*innen insgesamt nennenswert verbreitet. So wünschen sich 20 Prozent aller Wahlberechtigten »mehr Mut zu einem starken Nationalgefühl« sowie »ein hartes und energisches Durchsetzen deutscher Interessen gegenüber dem Ausland« als oberstes Ziel der deutschen Politik. Weitere 39 Prozent stimmen dem teilweise zu. Ähnlich sieht es mit fremdenfeindlichen Einstellungen aus: Diese finden sich laut Studie bei 52 Prozent aller Wahlberechtigten. So stimmt mindestens teilweise fast ein Drittel den Behauptungen zu, die Bundesrepublik sei »durch die vielen Ausländer*innen in einem gefährlichen Maße überfremdet«. Diese kämen nur hierher, »um unseren Sozialstaat auszunutzen«.

Die Bertelsmann-Studie bestätigt jene gesellschaftlichen Entwicklungen, wie sie seit Jahren auch von anderen Wissenschaftler*innen aufgezeigt werden, zuletzt im November durch die zehnte Auflage der Leipziger Autoritarismus-Studie. Auch in dieser Forschungsarbeit wurde vor einer »Radikalisierung und Enthemmung unter extremen Rechten« gewarnt.

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