Ethikrat lehnt Privilegien für Geimpfte ab

Experten empfehlen aber Lockerungen in Heimen, wo Menschen stark unter Einschränkungen leiden

»Derzeit kommt eine individuelle Rücknahme staatlicher Freiheitsbeschränkungen für geimpfte Personen nicht in Betracht«, sagte die Vorsitzende des Ethikrates und Professor in der Medizin, Alena Buyx, am Donnerstagmorgen anlässlich der Präsention der Empfehlungen des Gremiums. Der Ethikrat befasst sich seit 20 Jahren mit gesellschaftlichen, medizinischen und wissenschaftlichen Fragestellungen. Er soll die voraussichtlichen Folgen neuer Entwicklungen und Gesetzgebungen auf die Gesellschaft abwägen.

Nach fast einem Jahr der Pandemie kam mit den begonnenen Impfungen die Aussicht auf ein Ende der Freiheitseinschränkungen auf. Der Druck auf die Bundes- und Länderregierungen, diese Beschränkungen möglichst bald zurückzunehmen, wächst zusehends.

»Besondere Regelungen für Geimpfte würden zum jetzigen Zeitpunkt keinen Sinn machen«, so Professorin Sigrid Graumann. »Die Impfung schützt davor, schwer an Covid19 zu erkranken. Sie schützt aber nach derzeitigem Kenntnisstand nicht zuverlässig davor, sich zu infizieren und vor allem nicht davor, andere infizieren zu können«, fasste Ethikratsmitglied Graumann den aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnisse zusammen. Erste Lockerungen müssten priorisiert in Alten- und Pflegeeinrichtungen erfolgen, wo die Kontakt- und Freiheitseinschränkungen sehr schwerwiegend sind.

Achim Kessler, gesundheitspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, begrüßte die Einschätzungen des Ethikrates: »Aus den bisher erhobenen Daten kann nicht zuverlässig geschlossen werden, dass geimpfte Personen das Coronavirus nicht weiter übertragen.« Lockerungen können nach Ansicht des Ethikrates erst dann in Betracht kommen, wenn sowohl die Zahl der geimpften Personen als auch die Zahl der Krankheits- und Todesfälle das zulassen würden.

Dass Einrichtungen wie Bars, Clubs oder Restaurants ausschließlich für Geimpfte wieder geöffnet werden könnten, sieht der Ethikrat nicht. Erst wenn die allgemeinen Beschränkungen zurückgefahren werden könnten, könne mit Hygienekonzepten und Schnelltests wieder geöffnet werden. Ausnahmen von der Impfreihenfolge solle es auch für Profisportler*innen nicht geben, da diese weder zu einer Gruppe mit hohem Risiko eines schweren Verlaufs gehören, noch einen dringend benötigten Dienst an der Gesellschaft leisten würden.

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