Matrix verdreht

Die unschöne alte Welt: Im Science-Fiction-Film »Bliss« ist die virtuelle Realität die Abschreckung

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Owen Wilson ist ein popkulturelles Phänomen. Dank seiner strandblonden Surferoptik galt er lange als Idealbesetzung massentauglicher Komödien, und besonders die dicke Freundschaft mit Ben Stiller hielt ihn im Rampenlicht. Von A wie Anaconda bis Z wie Zoolander war sein Portfolio demnach zwar selten das Schlechteste, insgesamt aber doch ziemlich profan. Weil Owen Wilson aber parallel dazu die Muse des Hollywood-Anarchisten Wes Anderson ist, mit dem er seit 1996 - anfangs nach eigenem Drehbuch - Filmgrotesken von beispiellosem Aberwitz drehen durfte, trifft es die Bezeichnung als popkulturelles Phänomen doch nur teilweise. Denn der gebürtige Texaner Owen Wilson passt einfach in keine Schubladen - das zeigt kein Film besser als »Bliss« unter der Regie eines ähnlich schöpferischen Grenzgängers: Mike Cahill.

Fast vollkommen frei von Humor und Action, spielt Wilson darin Greg, den depressiven Abteilungsleiter eines tristen Callcenters, der seine öden Arbeitstage mit Zeichnungen idyllischer Urlaubslandschaften vertut. Aus diesem Eskapismus wird der frisch geschiedene Tagträumer jedoch herausgerissen, als er seinem Chef beim Entlassungsgespräch versehentlich das Genick bricht und auf der Flucht auf die obdachlose Isabel (Salma Hayek) trifft. Mithilfe magischer Kräfte überzeugt sie Greg davon, dass sie Teil eines virtuellen Paralleluniversums sind, das die Bewohner einer paradiesischen Gated Community am Meer per Gedankentransfer betreten.

Anders als bei dem Film »Matrix« von den Wachowski-Schwestern aus dem Jahr 1999 wird aber hier den Überlebenden eines verlorenen KI-Krieges 22 Jahre später keine schöne neue Welt vorgegaukelt; die unschöne alte Welt in Gregs Ameisendasein dient nämlich dazu, die Annehmlichkeiten der sorglosen Existenz am Meer dank kurzer Ausflüge in triste Großstadthöllen wieder wertzuschätzen. So gesehen ist »Bliss« eine Art umgedrehte »Matrix«, die mit den Mitteln der Science-Fiction-Serie »Black Mirror« spielt. Wie in Charly Brookers fortschrittsskeptischer Serie kreiert Cahills Film technische Lösungen aktueller Problemlagen, die sich bei näherer Betrachtung aber nur noch verstärken.

Denn die Sache mit der Exit-Option ist natürlich nicht ganz so einfach, wie sie scheint. Quietschbunte Substanzen, mit denen die Kundschaft der Bliss-Erfinderin Isabel vom Himmel zur Hölle und retour wechselt, entpuppen sich als unkontrollierbare Drogen. Wer zu welcher Sphäre gehört, verwischt mit jedem Übertritt aufs Neue. Was Illusion ist, was Wirklichkeit, gerät damit zusehends durcheinander. Wie in Cahills Genre seltsam bodenständiger Science-Fiction üblich, wendet sich die radikale Innovation also gegen ihre Schöpfer.

Man kann Gregs 140-minütigen Selbstermächtigungstrip demnach auf vielerlei Art lesen: als Zukunftsdystopie oder Gegenwartsstudie ebenso wie als Familienporträt oder Männlichkeitsskizze. All dies wird indes erst dadurch glaubhaft, dass Owen Wilson seiner Filmfigur so einleuchtend fragile Anspannung verleiht. Ihm dabei zuzusehen, wie seine Gewissheiten nach und nach zerplatzen, ohne durch bessere ersetzt zu werden, kompensiert nicht nur das limitierte Schauspiel seiner Kollegin Salma Hayek; es sorgt für eine seltsame Empathie für diesen verantwortungsflüchtigen, emotional überforderten, also toxischen weißen Mann.

Der Anfangsfünfziger Greg kämpft gleichsam um die Liebe seiner erwachsenen Kinder, wie um sein zerrüttetes Ego. Besonders im Arrangement eines derart surrealen Films voller Fantasy-Elemente, Superkräfte und Taschenspielertricks ist das einzigartig absurd. Wie in den Meisterwerken von Wes Anderson seit seiner selbstkreierten Groteske »The Royal Tenenbaums« ist es also dieser filmische Leichtmatrose längst vergangener Tage, der die Lücke zwischen Klamauk und Drama seriös mit Seele füllt. Der Film »Bliss« ist gewiss kein Meisterwerk. Aber es ist eins mit Owen Wilson. Manchmal reicht das.

»Bliss«, ab 5. Februar auf Amazon Prime.

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