Der Biss der Underdogs

Die Turbulenzen um die Gamestop-Aktie sorgen für Freude und Mahnungen

Die Achterbahnfahrt der Gamestop-Aktie geht auch in dieser Woche weiter: Um 20 Prozent schnellte der Kurs der Ladenkette für Videospiele, deren Geschäftsmodell durch den Trend hin zu Onlinespielen ins Wanken geraten ist, am Montag in die Höhe. Seit Jahresbeginn hatte sich der Börsenwert erst etwa verzwanzigfacht, um dann wieder um 80 Prozent einzubrechen.

Solche Kapriolen kommen im Börsencasino bei Aktien mit geringer Liquidität immer mal wieder vor, aber die Gamestop-Geschichte wird derzeit politisch aufgeladen. »Underdogs können so ziemlich alles erreichen, wenn sie sich um eine gemeinsame Idee scharen«, rieben die Macher der Social-Media-Plattform Reddit in einem Mini-Werbespot dem Milliardenpublikum beim American-Football-Spektakel Super Bowl am Sonntag unter die Nase. Eine weitere clevere Aktion, den Bekanntheitsgrad zu erweitern.

Der Rummel um Gamestop begann damit, dass sich Anleger über Internetforen wie die Reddit-Gruppe »WallStreetBets« dazu verabredeten, den Kurs in die Höhe zu treiben. Getätigt wurden die Käufe über populäre Trading-Apps wie Robinhood, die ein junges, internetaffines Publikum ansprechen und zu geringen Gebühren auch Kleinstaufträge abwickeln. Diese Apps gibt es zwar schon lange, aber auch hier hat Corona den Boom gebracht: Leute haben mehr Zeit fürs Zocken, und Sportwetten sind mangels Veranstaltungen rückläufig. 13 Millionen Nutzer gibt es mittlerweile allein bei Robinhood. Einigen von ihnen geht es ums Zocken und das schnelle Geld, verpackt in eine politische Botschaft: Man demokratisiert die Börsenwelt und führt einen Kampf David gegen die Elitengoliaths von der Wall Street, wobei der Begriff auf Hedgefonds verkürzt wird.

Bei Gamestop hatten einige dieser Risikoinvestoren auf fallende Kurse gewettet - mittels Leerverkäufen, bei denen im großen Stil geliehene Aktien zum aktuellen Kurs verkauft und später zurückgekauft werden. Wenn der Kurs in dem Zeitraum tatsächlich fällt, macht man Gewinn. Bei Gamestop gab es mehr Leerverkäufe als Aktien im Umlauf waren. Die perfide Strategie ging aber nicht auf, da der Kurs von den Kleinanlegern in die Höhe getrieben wurde. Die Analyseplattform S3 Partners schätzt die Verluste der Hedgefonds auf 20 Milliarden Dollar; einer von ihnen, Melvin Partners, erhielt gar eine Milliardenspritze der Partner, um nicht pleitezugehen. Hohe Verluste erleiden längst aber auch viele Kleinanleger, die spät auf den Zug aufsprangen, teils sogar mit geliehenem Geld zockten und ihre Ersparnisse verloren.

Dass sich die Hedgefonds blutige Nasen holten, sorgt natürlich auch bei vielen Finanzmarktexperten für klammheimliche Freude. Den aggressiven Investoren wird vorgeworfen, Aktien allein mit ihrer Marktmacht in den Keller treiben zu können. Auch der Verdacht illegaler Absprachen steht im Raum, ist aber nur schwer nachzuweisen. Eine solche Marktmanipulation wären natürlich auch Absprachen von Kleinanlegern. Aus diesem Grund prüft die US-Finanzaufsicht auf Wunsch der neuen Finanzministerin Janet Yellen die Vorgänge. Auch im Europaparlament wird mit Experten über Konsequenzen aus den Vorgängen beraten.

Die übrigens auch vom reichsten Mann der Welt, Elon Musk, beklatschte Kleinanleger-Aktion hat noch einmal ein Schlaglicht auf die Machenschaften der Hedgefonds geworfen. Elizabeth Warren, demokratische Senatorin aus Massachusetts und Expertin für Verbraucherschutz, hofft, dass die Börsenaufsicht nun endlich »aus dem Quark kommt«. Seit Jahren gebe es an der Wall Street »eine Gruppe von Spielern«, die den Markt manipuliere. Sie hofft auf eine bessere Regulierung zum Schutz vor diesen Praktiken.

Doch es gibt von linker Seite auch Warnungen vor »Fake-Populismus«, wie es der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman ausdrückt. Er verweist darauf, dass es auch von ultrarechten Politikern Beifall für die Aktion gibt und manche Parolen fast schon an QAnon-Verschwörungstheorien erinnerten. Krugman warnt davor, einem Irrglauben aufzusitzen: »Arbeitende Amerikaner brauchen ein Ende der Lohnstagnation, nicht die Möglichkeit, mit Aktien zu zocken.«

Da passt es auch ins Bild, dass die Ladenkette Gamestop in den vergangenen Jahren immer wieder durch besonders schlechte Behandlung der Beschäftigten für Negativschlagzeilen sorgte. Auf diese wird demnach extremer Druck ausgeübt, Produkte zu verkaufen. Die Realwirtschaft dürfte aber weder die Hedgefonds noch die Robinhood-Zocker groß interessieren.

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