Corona wütet in der Fußgängerzone

Für Handelsflächen müssen neue Nutzungen gefunden werden - notfalls mit Zwang

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist ein dramatisches Bild, das Michael Reink vom Handelsverband Deutschland von der Lage seiner Branche zeichnet. Umsatzrückgänge bis zu 80 Prozent im stationären Geschäft waren im zweiten Lockdown zu beobachten. Im ersten Halbjahr 2020 wurden erstmals mehr Artikel aus den Bereichen Elektronik, Technik und Computer online verkauft als in Läden. »58 Prozent der Innenstadthändler sehen sich in ihrer Existenz bedroht«, zitiert Reink eine aktuelle Umfrage des Handelsverbands. Sie rechnen damit, ihr Geschäft dieses Jahr aufgeben zu müssen. »Das bedeutet, dass eine Straßenseite der Fußgängerzone nicht mehr da sein wird«, macht er die Situation plastisch.

Reink spricht am Mittwochabend bei einer Online-Diskussionsrunde des Deutschen Instituts für Urbanistik, einem Thinktank der deutschen Kommunen. Thema ist die Zukunft der Innenstädte der Republik. Besonders hart dürfte es die mittelgroßen Städte treffen, ist Reink überzeugt. Doch auch Metropolen wie Berlin, in denen sich die Gewerbemieten in den letzten 20 Jahren im Durchschnitt fast verdoppelt haben, sind betroffen. Besonders düster sieht er die Perspektive der Stadtteilzentren. »Einkaufen im Kiez ist Nahversorgung«, sagt er. Viel mehr als Supermärkte, Bäcker und ähnliches wird also nicht übrigbleiben.

Rote Brause - der Berlin-Podcast

Was war letzte Woche noch mal wichtig in Berlin? Plop und Zisch! Aufgemacht! Der Podcast „Rote Brause“ liefert dir alle wichtigen News aus der Hauptstadtregion in nur 15 Minuten. 

Carsten Benke vom Zentralverband des Deutschen Handwerks hofft, dass das Handwerk einen Teil der freiwerdenden Flächen besetzen kann. Er sieht »Chancen auf andere Produktionen, die wieder handwerklich-urban in enger Vernetzung mit industrieller Produktion agieren«. Allerdings sagt er auch: »Das Handwerk kann die Rolle der Händler nicht ersetzen, auch nicht deren Wertschöpfung.«

Das Pestel-Institut aus Hannover sieht schon die Option, leerstehende Büroflächen in Wohnraum umzuwandeln. Institutschef Matthias Günther sprach am Freitag von 74 000 fehlenden Wohnungen allein in Berlin. Die bauliche Umwandlung koste demnach nur ein Drittel des Neubaus.

Bei der Gesellschaft für immobilienwirtschaftliche Forschung, einem Zusammenschluss von Maklern und Marktbeobachtern, rechnet man zunächst allerdings nicht mit großen Leerständen im Berliner Büromarkt. In Berlin lag die Quote im Jahr 2020 demnach bei rund zwei Prozent. »Das ist noch kein dramatischer Leerstand, den wir sehen«, sagte am Dienstag Helge Scheunemann. »Trotz steigender Leerstände ist Mietpreiswachstum möglich«, erklärte er. Die Durchschnittsmiete stieg demnach auch 2020 auf nun rund 28 Euro pro Quadratmeter. Allenfalls bei den Spitzenmieten von 38 Euro im vergangenen Jahr wird von einigen Marktbeobachtern ein Rückgang um bis zu fünf Prozent erwartet.

»Wir werden Leerstände haben, die sich dadurch ergeben, dass Vermieter nicht mehr weitervermieten werden«, erwartet Michael Reink vom Handelsverband. »Das hängt mit der Immobilienbewertung zusammen«, erläutert er. Würden neue Mietvertragsabschlüsse deutlich niedriger ausfallen, »dann müssten die Immobilien neu bewertet werden und das Kartenhaus fällt zusammen«, so Reink.

»Da ist der Gesetzgeber gefordert«, erklärt Linke-Mietenpolitikerin Gaby Gottwald. Beim Wohnen könne Leerstand verboten werden. »Das könnte man auch für bestimmte gewerbliche Bereiche machen. Der Markt ist nicht unantastbar«, so Gottwald weiter.

Rein fordert eine Stärkung der Vorkaufsrechte der Kommunen. »Städte müssen ertüchtigt werden, Vorkaufsrechte auszuüben. Aber es muss auch Geld da sein«, sagt er.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal