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Akkordarbeit so nebenbei

Das rechtliche Konstrukt der Saisonarbeit in der Landwirtschaft hat einen Hintergedanken, meint Sandra Lust. Damit sparen Unternehmer nämlich Geld.

  • Sandra Lust
  • Lesedauer: 3 Min.

Rechtzeitig vor Beginn der diesjährigen Erntesaison werben die Arbeitgeber in der Landwirtschaft bereits wieder dafür, problematische Beschäftigungskonstrukte aufrecht zu erhalten. Und das, obwohl uns die Coronakrise die Systemrelevanz der Saisonarbeit bereits im vergangenen Jahr vor Augen geführt hatte: Immer wieder wurde betont, dass inländische Erwerbslose und Studenten der schweren Arbeit auf den Feldern nicht gewachsen seien. Insbesondere für das Spargelstechen brauche man erfahrene Polen und Rumänen.

Deren Ausbleiben hatte im März 2020 sogar der AfD Sorge bereitet: »Die aufgrund des Coronavirus in der EU veranlassten Reisebeschränkungen und Grenzkontrollen führen dazu, dass dringend benötigte Saisonarbeitskräfte und Erntehelfer aus dem Ausland fernbleiben und fehlen werden.« Der rechte Rand der Republik beklagt den Mangel von Arbeitsmigranten? Wieso sind Einheimische mit oder ohne Migrationshintergrund für die Ernte nicht zu gebrauchen? Gibt es unter deutschen Studenten oder syrischen, afghanischen oder afrikanischen Geflüchteten keine hart arbeitenden Menschen mit landwirtschaftlicher Erfahrung? Und warum verlieren selbst Rumänen und Polen bei Anmeldung einer Wohnadresse in Deutschland auf magische Weise ihre viel beschworenen Spargelkompetenzen?

Sandra Lust
Sandra Lust ist Mitglied der IG BAU und berät ehrenamtlich migrantische Arbeitskräfte aus Osteuropa.

Man könnte vermuten, dass kaum jemand bereit ist, für den mageren Mindestlohn täglich zehn bis zwölf Stunden bei sengender Hitze bäuchlings auf sogenannten Gurkenfliegern Gemüse zu sortieren - und für diesen Job für einige Monate in einem Mehr-Bett-Zimmer zu wohnen.

Der eigentliche Grund, warum die Arbeitskräfte unbedingt aus dem Ausland importiert werden müssen, ist jedoch ein anderer: Würde ein Landwirt mit einem in Deutschland gemeldeten Erwerbslosen - ob deutsch, syrisch, rumänisch - einen Arbeitsvertrag schließen, wären Sozialabgaben fällig. Denn von Sozialabgaben befreit ist eine Beschäftigung nur, solange sie nicht »berufsmäßig« ausgeübt wird, also nur einen Nebenverdienst darstellt.

Bis 2014 war die versicherungsfreie Saisonarbeit auf zwei Monate im Kalenderjahr begrenzt. Dann wurde diese Frist für eine Übergangszeit von vier Jahren auf drei Monate ausgeweitet. Dies wurde mit Problemen bei der Saisonarbeit im Rahmen der Einführung des Mindestlohns begründet. 2018 wurde die Drei-Monats-Regel entfristet. Die Bundesregierung teilte lapidar mit, dass »seit Einführung der Regelung keine sozialpolitisch bedenklichen Entwicklungen festgestellt wurden«. 2020 wurde die Zeitgrenze für versicherungsfreie Saisonarbeit auf fünf Monate verlängert. Begründet wurde dies damit, dass sonst wegen der Corona-Maßnahmen nicht genug Erntehelfer zur Verfügung stünden. Und so konnte Stephan Protschka, AfD-Bundestagsabgeordneter, bereits im April jauchzen: »Je mehr Saisonarbeiter aus Osteuropa - desto weniger die Ernteausfälle.« Die Stärkung der Arbeitsmigration verbuchte er als Erfolg seiner Partei.

Und auch das CDU-geführte Bundeslandwirtschaftsministerium ist dafür, die Sonderregelung, die übergangsweise in der Erntezeit von März bis Oktober 2020 gelten sollte, auch in diesem Jahr laufen zu lassen. Das Bittere an der Sache ist, dass Erntehelfer*innen aus dem EU-Ausland auf Grund der Arbeitnehmerfreizügigkeit ohnehin jederzeit legal auf deutschen Äckern arbeiten könnten. Für einen regulären Arbeitsvertrag müsste Ministerin Klöckner also gar keine Fristverlängerung durchsetzen. Die Erntehelfer*innen hätten dann jedoch Anspruch auf deutschen Krankenversicherungsschutz, Arbeitslosenversicherung und Rente. Billiger ist es da, sie als kurzfristig Beschäftigte anzustellen - weitgehend sozialversicherungsfrei. Vorrausetzung dafür ist allerdings, dass die Beschäftigung »nicht berufsmäßig ausgeübt« wird. Sie müssten also in ihrem Wohnstaat sozialversicherungspflichtig beschäftigt sein oder selbstständig arbeiten. Dass die rumänische Saisonarbeiterin die fünf Monate Akkordarbeit auf deutschen Gemüsefeldern nebenbei zu ihrem Hauptjob zu Hause betreibt, ist jedoch sehr unrealistisch. In den allermeisten Fällen ist das rechtliche Konstrukt der Saisonarbeit somit illegal - und das dürfte auch Klöckner bewusst sein.

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