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»Ein Abziehbild für das Sexkaufverbot«

André Nolte über Sexarbeit während der Pandemie, Diskriminierung, Klischees und den Wunsch nach Gleichstellung einer stigmatisierten Branche

Kürzlich trafen sich rund 40 Verbände mit Wirtschaftsminister Peter Altmaier und konnten ihr Leid in der Coronakrise klagen. Sexarbeitende waren keine dabei. Wie geht es denen?

Unsere Situation ist vergleichbar mit der der Künstlerbranche, die eine ähnliche Bandbreite an neuen Lebensrealitäten hat: Menschen mit hohem Einkommen, die auch über die November- und Dezemberhilfen sehr gut versorgt wurden, Leute, die in Sozialsysteme zurückfallen, aber eben auch Menschen ohne Wohnsitz und ohne Anspruch auf soziale Hilfen. Diese Gruppe ist bei uns zahlenmäßig vermutlich größer. Der wesentliche Unterschied ist, dass wir in der Pandemie ein Höchstmaß an Diskriminierung erlebt haben: Trotz Hygienekonzepten wurden uns immer wieder Absagen erteilt zur Wiedereröffnung in 2020. In Bremen gab es kürzlich eine Debatte um die textliche Darstellung in der Corona-Verordnung: Da ging es tatsächlich darum, dass Friseure nicht in einem Atemzug mit Prostitution erwähnt werden wollen. Die Forderungen wurde zwar abgebügelt, aber je mehr Verordnungstexte ich sehe, desto häufiger sehe ich auch, dass man uns in einer eigenen Spalte »Prostitution« auflistet. Prostitution ist eine körpernahe Dienstleistung und wir tauchten bisher überall gemeinsam mit den Friseuren, Kosmetikern, Tätowierern auf. Wir fordern Gleichstellung!

André Nolte

André Nolte ist Sexarbeiter, Kolumnist und Dozent für Themen rund um BDSM sowie Sexualität und leitet zudem die Presseabteilung des Bundesverbands erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD). Mit Birthe Berghöfer sprach er über die Situation vieler Sexarbeitenden und des Berufsverbandes seit der Corona-Pandemie.

Der Verband hatte bereits früh in der Pandemie ein Hygienekonzept für die Sexarbeit vorgelegt. Wie sieht das aus?

Kernpunkt ist natürlich die Kontaktdatennachverfolgung, wo ich wirklich aus eigener Praxis sagen muss: gar kein Problem. Grundsätzlich unterscheidet sich das Konzept gar nicht so von denen anderer körpernaher Dienstleistungen. Es ging bei der Erarbeitung im Wesentlichen auch darum, mit Klischees aufzuräumen. Zu Beginn der Pandemie hieß es, wir seien Virenschleudern und Superspreader, das ist natürlich diffamierend und auch einfach falsch: In der Realität hat eine Frau nicht - wie behauptet wurde - 30 Kunden am Tag. Frauen in einem Laufhaus sprechen bei vier Kunden schon von einem guten Tag. Und mit der Coronakrise ist die Nachfrage eh gesunken. Dann ist es so, dass Bordellbetreiber natürlich ein Interesse daran haben, dass Richtlinien eingehalten werden und alles funktioniert. Aufgehört hat die Sexarbeit trotz aktuellem Berufsverbot im Übrigen nicht. Gerade Menschen in prekären Situationen arbeiten weiter – jetzt illegal.

Um die Mitglieder zu entlasten, werden seit März 2020 keine Beiträge mehr verlangt. Was bedeutet das für den Verband?

Es fehlt uns wirklich Geld. Auch durch Einbußen bei dem, was wir sonst auf Messen verdient haben. Aber politische Arbeit braucht ein finanzielles Grundgerüst, deswegen haben wir jetzt auf berufsverband-sexarbeit.de eine Spendenkampagne gestartet. Wenn Friseure im Jahr 2021 sagen, sie möchten nicht in einem Atemzug mit Sexarbeit genannt werden, zeigt das, wie wichtig unsere Arbeit und Aufklärung ist. Sexarbeit ist ein Beruf wie jeder andere auch. Und es gibt gar nicht so viele Verbände, die wirklich ausschließlich aus Sexarbeitern und für Sexarbeiter bestehen. Wir haben keine vierstellige Mitgliederzahl und sind trotzdem schon der größte Verband in Europa. Es ist schwierig, die Leute zusammenzufinden. Viele sind Einzelkämpfer und das Stigma wirkt einfach wie ein Damoklesschwert sich zu der Arbeit zu bekennen.

Was leistet der Verband abseits der aktuellen Krisenbewältigung?

Wir sind natürlich auch Hilfesteller innerhalb der Sexarbeitsbranche. Wir bieten Workshops für die Kollegen an, machen Veranstaltungen, stellen Informationen bereit, debattieren. Wir stehen in direktem Kontakt zu Politikern, die sich mit dem Thema auseinandersetzen und unterstützen mit Forschungsmaterial. Am meisten wahrgenommen werden wir vermutlich, wenn es wie im vergangenen Jahr darum geht, Rechte einzufordern, wir in Strapshaltern auf der Straße stehen und für unsere Arbeit kämpfen.

Und gegen die Einführung eines Sexkaufverbots. Sind die Forderungen danach während der Pandemie stärker geworden?

Ja, sind sie. Beim Sexkaufverbot wird grundsätzlich der Kunde bestraft, aber auch alles, was der Sexarbeit zuarbeitet wird illegal: der Webmaster, der Taxifahrer, der Hotelier, manchmal sogar Ehepartner. Es kommt zu Hexenjagd ähnlichen Zuständen. Das ist kein Schutz von Frauen. Die jetzige Situation, in der Sexarbeit eine kriminelle Handlung ist, macht das deutlich und ist wirklich ein Abziehbild für das Sexkaufverbot. Beim ersten Lockdown wurden Frauen aus Bordellen geworfen und standen buchstäblich auf der Straße. Beratungsstellen berichten von Frauen, die auf Matratzen hinter Bahngleisen arbeiten und Frauen, die vorher in geschützten Bordellen gearbeitet haben und jetzt dem Escort-Geschäft nachgehen. Also in Wohnungen fahren, obwohl sie diese Arbeit nicht kennen und können. Die Arbeit im Laufhaus ist ja eine ganz andere: da bekommen sie den Kunden von der Hausdame vorgestellt. Wenn sie rausfahren müssen und in einer Wohnung plötzlich zwei statt einer Person sitzen? Eine Escortdame weiß, wie sie damit umgehen kann.

Vor allem zeigt sich: ein Verbot der Sexarbeit führt nicht dazu, dass es keine mehr gibt.

Dessen sind sich die Verfechter des Sexkaufverbotes auch einig. Deren Ziel ist es, Prostitution so klein wie möglich zu halten, mit der realitätsfernen Logik, dass gleichzeitig auch die Kriminalität abnehme. Das ist Bullshit. Wer heute kriminell ist, lässt sich morgen durch ein Sexkaufverbot nicht stoppen. Befürwortern eines Sexkaufverbotes geht es eigentlich auch nicht um Kriminalität. Es handelt sich um eine Projektion des eigenen Moralempfindens, nichts weiter. Dann heißt es, Konsens in der Sexarbeit könne es nicht geben. Und letztendlich ist das auch eine Entmündigung der Frau, die zum Opfer erklärt wird, sobald sie Prostitution anbietet. Da zeigen sich ganz einseitige Weltbilder: Eine Prostituierte ist schwach, dumm, redet sich was ein oder wird verführt. Gleichzeitig ist der Mann pauschal Täter.

Tatsächlich bieten auch Männer sexuelle Dienstleistungen an.

Sie werden oft einfach vergessen. Oder es ist die Rede vom »eh schon schmutzigen Homosexuellen-Milieu«. Aber es gibt sie zu tausenden in Deutschland. Übrigens ist der Mann zwar immer noch Kunde Nummer eins, aber ich habe als Sexarbeiter mittlerweile fast genauso viele weibliche wie männlich Kunden. Ich habe in vielen Puffs und Bordellen gearbeitet und natürlich erzählen nicht alle Sexarbeiter so offen und glücklich von ihrem Beruf. Die Masse macht im Grunde ihren Job und geht dann nach Hause – aber nicht frustriert. Das ist in unserer Branche wie in jedem anderen Beruf auch.

Trotzdem gilt Prostitution für viele nicht als normale Arbeit, darunter auch prominente Politiker*innen wie die SPD-Bundestagsabgeordnete Leni Breymaier. Einige Bordellbetreiber*innen haben sie Anfang des Jahres wegen übler Nachrede angezeigt. Ist der Verband da auch aktiv?

Wir haben uns nicht aktiv daran beteiligt, unterstützen das jedoch, weil die Klage inhaltlich begründet ist. Es gibt nur wenig Statistik zum Thema Prostitution, kaum belastbare Zahlen, sondern immer nur Schätzungen. Da sind viele Behauptungen eben schlicht Meinung - das ist dann auch okay. Aber wenn offensichtlich Falschaussagen getätigt werden, ist das ein Punkt, wo man sich wehren muss.

Wie geht es mit dem Verband und seiner Arbeit weiter?

Das ist auch abhängig davon, wie es in der Pandemie weitergeht und das ist ja ein Blick in die Glaskugel. Ich kann mir vorstellen, dass der bessere Zugang zu Schnelltests noch mal Einfluss auf den Einsatz von Hygienekonzepten haben wird. Im Kontext von Öffnungsdebatten erwarte ich, dass sich die Politik differenziert mit dem Thema Sexarbeit auseinandersetzt und, wie in Nordrhein-Westfalen jüngst geschehen, das Sexkaufverbot ablehnt. Als es die vielen Corona-Infektionen in Fleischfabriken gab, hat auch niemand die Produktion oder den Konsum von Fleisch verboten. Dann werden Gesetze entwickelt, dass die Arbeitsbedingungen besser werden. Das ist natürlich der richtige Weg, statt pauschal Verbote in den Raum zu werfen. Bei der Sexarbeit macht man das aber wahnsinnig gern.

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