Rechnung mit Unbekannten

Wolfgang Hübner über die alte, neue Regierungsdebatte der Linken

Es ist fast schon ein Ritual – allerdings eines, das den Wesenskern der Linken berührt: Immer, wenn Wahlen anstehen, erlebt die Debatte über Sinn und Möglichkeiten des Regierens eine Neuauflage. Mit den neuen Vorsitzenden haben zwei ambitionierte Protagonistinnen die Bühne betreten. Vehementer als alle ihre Amtsvorgänger und als die Ko-Vorsitzende Janine Wissler drängt Susanne Hennig-Wellsow die Linke, zum Regieren im Bund bereit zu sein.

Einige ihrer Erfahrungen aus dem Modell Rot-Rot-Grün in Thüringen können da sicher hilfreich sein; der politische Raum, in dem sich diese Debatte auf Bundesebene bewegt, ist allerdings ein gänzlich anderer. In Thüringen war er von allerhand Hindernissen verstellt; im Bund ist er geradezu vermint. Warnende Stimmen waren auf diesem Parteitag nicht zu überhören, und in den engsten Führungszirkel wurden auch einige, sagen wir, Regierungsskeptiker gewählt.

Damit Rot-Rot-Grün – oder Grün-Rot-Rot – im Bund Wirklichkeit werden kann, muss einiges zusammenkommen, was nicht unbedingt in Reichweite liegt. Die Linke müsste sich klar darüber werden, ob und um welchen Preis sie der Aufforderung von Hennig-Wellsow folgen will. Die möglichen Partner, die auch andere Machtoptionen haben, müssten erkennen lassen, wie weit sie der Linken in entscheidenden Fragen entgegenkommen würden. Vor allem aber: Eine Partei, die derzeit bei sechs bis acht Prozent liegt, müsste einen deutlich größeren Beitrag in ein progressives Bündnis einbringen, von dem Hennig-Wellsow gern spricht. Damit es überhaupt eine Mehrheit erreicht, und damit die Linke dort nicht am Katzentisch sitzt. Eine Rechnung mit zahlreichen Unbekannten. Viel zu tun also für die neuen Vorsitzenden, die es mit einem stark verjüngten Vorstand zu tun haben, auf den die alten Flügelmuster immer weniger passen.

Lesen Sie auch: Am Pol der Hoffnung. Mit Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow sollen zum ersten Mal zwei Frauen die Linke führen.

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