Erfolgreich im Erzgebirge

75 Jahre Fußball in Aue: Von der BSG zum 500. Zweitligaspiel

  • Sebastian Wutzler, Aue
  • Lesedauer: 4 Min.

Zwei Jubiläen, aber keine Party: Der FC Erzgebirge Aue hätte seinen 75. Vereinsgeburtstag und das 500. Spiel in der 2. Bundesliga am kommenden Sonnabend gegen Hannover 96 gern gemeinsam mit den Fans in einem ausverkauften Stadion gefeiert. »Corona macht es leider unmöglich. Aber wir werden die große Feier nachholen, sobald die Beschränkungen aufgehoben sind. Das verspreche ich allen Anhängern und Sponsoren«, sagt Präsident Helge Leonhardt. Der Unternehmer führt seit September 2014 den Klub - mit Leidenschaft, Ehrgeiz und Idealismus. Leonhardt hat schon mitgewirkt, als der Traditionsverein nach der Wiedervereinigung am Scheideweg stand. »Im Juni 1992 zog sich die Wismut GmbH, damals einziger Hauptsponsor und dazu noch Arbeitgeber für Spieler und Trainer, aus dem kompletten Fußballgeschäft zurück. Der Fußball in Aue stand nach dem Rückzug der Wismut vor dem Bankrott«, erinnert sich der 62-Jährige. Sein Zwillingsbruder Uwe wurde Präsident, er selbst Vizepräsident. Mit der Hilfe anderer Unternehmer und dem Landkreis sicherten sie den Fortbestand des Fußballstandorts.

Der Mythos lebt weiter

»Wir haben damals quasi bei null angefangen. Es war eine kleine Gruppe Fußballverrückter um Bertram Höfer, Martin Henselin und Dieter Schremmer. Wir waren fast alle Existenzgründer und haben den Verein mit Enthusiasmus und oftmals auch mit Krediten für unsere Firmen indirekt mitfinanziert«, erklärt Leonhardt rückblickend. Der Mythos von der »Macht aus dem Schacht« lebte weiter: »Wir wollten die jahrelange Tradition bewahren und an die sportlichen Erfolge der Vergangenheit anknüpfen.«

Am 4. März 1946 soll der sowjetische Stadtkommandant die Erlaubnis zur Gründung eines Fußballvereins in Aue erteilt haben. Historische Belege dafür gibt es jedoch nicht. »Somit bleiben die Ereignisse an jenem Rosenmontag eine Anekdote mit viel Charme, welche auch gut zu unserem Kumpelverein passt«, heißt es in der Chronik auf der Internetseite des Vereins. In den 1950er Jahren feierte die BSG Wismut Aue ihre größten Erfolge: 1956, 1957 und 1959 wurde die Mannschaft DDR-Meister, 1955 FDGB-Pokalsieger. Manfred Kaiser, Heinz Satrapa und Willy Tröger, der im Zweiten Weltkrieg eine Hand verloren hatte, gehörten zu den bekanntesten Auer Spielern der Vergangenheit.

1993 wurde der Verein in FC Erzgebirge Aue umbenannt. »Den Namen hatten wir bewusst so gewählt, um die gesamte Region mit einzubeziehen und wieder für den Fußball zu begeistern«, erklärt Leonhardt. »Zehn Jahre später wurde mit dem Aufstieg in die 2. Bundesliga die erste Rakete gezündet.« Seitdem gehört der Klub mit zwei kurzen Unterbrechungen zum Inventar im Fußball-Unterhaus: Die »Veilchen« haben 499 Zweitligaspiele bestritten. In der laufenden Saison liegt die Mannschaft von Trainer Dirk Schuster nach 23 Spieltagen mit 32 Punkten erneut auf sicherem Kurs Klassenverbleib.

Ostdeutsches Aushängeschild

»Der FC Erzgebirge ist ein Aushängeschild des ostdeutschen Fußballs. Dass sich ein Verein aus einer vergleichsweise strukturschwachen Region über so einen langen Zeitraum im Spitzenbereich behauptet, zeugt vor allem von sehr guter Arbeit des Managements«, lobt Hermann Winkler, Präsident des Nordostdeutschen Fußballverbandes die Erfolgsgeschichte der Erzgebirger. »Dort ist Fußball die zweite Religion. Ich würde mir natürlich wünschen, dass in Zukunft wieder mehr Ostvertreter den Weg in die 2. Bundesliga finden.«

Dass Drittliga-Tabellenführer Dynamo Dresden und Verfolger Hansa Rostock auf dem besten Weg dorthin sind, freut auch den Aue-Boss. »Ich habe für alle Ostklubs große Sympathien. Wir brauchen diese Derbys. Damit wird auch die gesamte Region und der Osten gestärkt«, meint Leonhardt. An den Gedanken, irgendwann Präsident eines Erstligisten zu sein, verschwendet er nur selten Zeit. »Erstens lässt sich so etwas nicht planen. Wir sollten alles mit Bodenständigkeit und Demut betrachten. Investorenmodelle, wonach ein Roman Abramowitsch hierherkommt, funktionieren nicht. Daher bräuchte es für den Aufstieg angesichts unseres vergleichsweise geringen Budgets schon sehr viel Glück«, sagt Leonhardt. »Und zweitens ist die zweite Liga für unsere Region eine Topliga. Die Leute sind glücklich. Sie freuen sich doch lieber über diese anspruchsvolle zweite Liga und ein paar Siege, als in der 1. Bundesliga jede Woche abgewaschen zu werden.«dpa/nd

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