nd-aktuell.de / 05.03.2021 / Kultur / Seite 12

Technikverweigerung als Avantgardehaltung

Das Medienkunstvestival Transmediale setzt mit digitalen Besuchsmöglichkeiten auf das menschliche Element

Tom Mustroph

Rendering Refusal« hat sich das Medienkunstfestival Transmediale als Motto für dieses Jahr ausgesucht. Die neue Festivalchefin Nora O Murchú, zuvor am renommierten Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe tätig, bewies damit prophetische Gabe. Denn »Refusal«, englisch für Verweigerung oder Ablehnung, beschreibt ganz gut eine mächtige Stimmungslage im zweiten hiesigen Lockdown. Und weil »Rendering« nichts anderes als das Überführen von Rohdaten in Bilder meint, wird also die Erwartung geweckt, dass der Prozess der Verwertung von Verweigerungshaltungen und -objekten untersucht wird. In einem weiteren Sinne, der über die Lockdown-Metaphorik hinausgeht, wird die an zwei Orten in Berlin aufgebaute Ausstellung diesem Anspruch sogar gerecht.

Als eine regelrechte Verweigerungsinstallation gegenüber dem kapitalistischen Finanzsystem kann man die digitale Recherche zur Minahasa-Philosophie der indonesischen Grafikdesignerin Natasha Tontey im Silent Green, dem früheren Krematorium in Berlin-Wedding, ansehen. Tontey, die sich selbst als Minahasa in der Diaspora bezeichnet, taucht tief in den Kult um Steine ein; über Steinrituale wurde in früheren Zeiten die kollektive Nutzung des Landes geregelt. Als Kult hat sich das bis heute erhalten. Tontey verknüpft Aufnahmen von Steinritualen mit programmierten digitalen Götterdarstellungen und sieht in der geldlosen Organisation der Nutzung von Ressourcen eine Alternative zum Durchrechnungsfuror unserer kapitalistischen Gegenwart. Gewaltfrei sind die kultischen Praktiken freilich auch nicht. Eine mit Schwert bewaffnete Digitalgöttin fliegt da schon einmal wild durch den Pixelraum.

Ebenfalls im Silent Green befindet sich eine Installation der irischen Künstlerin Jennifer Mehigan, die an Friedhöfe als Widerstandsorte der irischen Bevölkerung gegen die englische Invasion erinnert. Larry Achiampong, der als Videokünstler vor allem zum Thema Postkolonialismus arbeitet, zeichnet in Form eines Tauchvorgangs in die Vergangenheit die Ausbeutung migrantischer Arbeiterinnen* nach. Auch am zweiten Ausstellungsort, dem Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, sind Elemente von Verweigerung und Widerstand zu sehen. Die bolivianische Künstlerin Patricia Dominguez greift in »Madre Drone« auf Studentenproteste in ihrer Heimat zurück. Die Demonstrationen wurden von Polizeidrohnen überwacht, die Studenten fanden aber schnell heraus, dass sich mit Laserstrahlen die Kameraaugen der Drohnen blenden ließen. Die Laserwolken um die Drohnen inspirierten Dominguez zu bildmächtigen Videos über Überwachung und die Überwindung dieser Überwachung. Eine ironische Historisierung der digitalen Kommunikationstechnologien betreibt die britische Künstlerin Laura Yuile. Sie überzieht Handys, Monitore und Satellitenschüsseln mit einer Steinschicht und lässt sie wie Fossile wirken.

Als eine Metapher für Verweigerung darf aber auch die komplette Ausstellung angesehen werden. Trotz der sich derzeit immer wieder ändernden Bedingungen für die Präsentation von Kunst hielt das Transmediale-Team stoisch am eigenen Fahrplan fest. Die Residenzen einzelner Künstler*innen wurden in Online-Residenzen umgewandelt. Weil manche Installationselemente nicht reisen durften, wurden sie eben in Berlin nachgebaut. Und um dem Publikum trotz Lockdown Zugang zu den Arbeiten zu gewähren, wurden Proxy Visits eingerichtet. Man bucht dafür Tickets über die Website und ist eine knappe Stunde lang mit einem anderen Menschen verbunden, der sich real in der Ausstellung befindet und durch die Ausstellung führt. Das Format kann man als eine Form von Dating mit Medienkunst betrachten, denn schnell ergibt sich im Austausch über die Objekte ein Zwiegespräch über Kunst und Leben, über Gerechtigkeiten und Ungerechtigkeiten.

Die oft unzugänglich wirkende konzeptuelle Medienkunst erfährt durch den menschlichen Dialog eine neue bereichernde Sphäre. Interessant ist auch, dass ausgerechnet dieses Avantgardefestival des Digitalen sich gerade nicht an der Lockdown-Hatz nach den neuesten digitalen Vernetzungs- und Vermittlungstechnologien beteiligt. Die Konferenz, seit einigen Jahren das Herzstück der Transmediale, wird eben nicht als Onlinekonferenz veranstaltet. »Wir haben gemerkt, wie wichtig das Treffen ist, der Austausch«, beschreibt Kuratorin Lorena Juan eine Erfahrung, die in den letzten Wochen nicht nur Videokunstmacher*innen schmerzhaft zur Kenntnis nehmen mussten.

Stattdessen setzt die diesjährige Transmediale-Ausgabe ganz konzeptionell auf Entschleunigung. Statt der Überfülle an Vorträgen und Präsentationen wurde auf der Website ein Almanach eingerichtet. Dort werden im verlangsamten Tröpfchenrhythmus Videoessays einzelner Künstler*innen und Forscher*innen hochgeladen.

Natürlich hofften auch die Transmediale-Macher*innen bis zuletzt noch darauf, dass Anfang März der Lockdown gelockert wird und Besucher*innen unter Einhaltung der Hygienebedingungen in die beiden Ausstellungshäuser kommen dürfen. »Sollten wir öffnen können, machen wir auch in der Nacht durch, um so vielen wie möglich den Zugang zu geben«, erzählte lachend Kuratorin Lorena Juan noch bei einem Presserundgang durch das Silent Green.

Ohne Terminvereinbarung ist nun das Spiel »I can’t remember a time I didn’t need you« von Danielle Brathwaite-Shirley von zu Hause aus zugänglich. Dabei will sie Teilnehmer*innen über eine Dialogführung in Situationen bringen, in denen sie den Formen von Diskriminierung nichtweißer Transgenderpersonen ausgesetzt sind und so die Perspektive der Diskriminierten einnehmen können. Das Spiel funktioniert aber nicht bei jeder gängigen Browsereinstellung.

Etwas enttäuschend bei der Auswahl der Ausstellungsformen ist, dass klassische Videoarbeiten sowie in den Raum ausgedehnte Videoinstallationen überwiegen. Nur Brathwaite-Shirley greift in die Welt der Games hinein. Die Verarbeitung anderer Signalumwandlungstechnologien - lange ein wichtiges Element der Transmediale - taucht gar nicht erst auf. Das kann man auch als Indiz für eine generelle Technologiemüdigkeit werten. Das Avantgardefestival ist in dieser Haltung möglicherweise erneut seiner Zeit voraus.

Medienkunstfestival Transmediale bis zum 28. März unter: https://transmediale.de/