nd-aktuell.de / 06.03.2021 / Politik / Seite 3

Nicht nur in Schlachthof und Klinik

Wo stecken sich Menschen mit dem Coronavirus an? Der Arbeitsplatz hat an Bedeutung gewonnen. Auch die Zahl der Beschäftigten mit anerkannter Berufskrankheit ist nach oben geschossen

Eva Roth

Wo sich Menschen mit dem Coronavirus infizieren, ist wichtig zu wissen, um Ansteckungen und Erkrankungen zu verhindern. Das gilt zumindest, so lange es zu wenig Impfstoff gibt. Auch Bund und Länder setzen in ihrem jüngsten Pandemie-Beschluss auf eine »bessere Nachvollziehbarkeit der Kontakte« zusammen mit mehr Tests. Was weiß man also über die Ansteckungsorte?

Das Robert-Koch-Institut veröffentlicht dazu Informationen, die spärlich sind, aber darauf hindeuten, dass es in den vergangenen Wochen starke Veränderungen gegeben hat. Sicher ist seit dieser Woche eines: Die Zahl der Beschäftigten mit einer anerkannten Berufskrankheit ist in die Höhe geschnellt. Hauptursache: Covid-19.

Wenn der Verdacht besteht, dass Beschäftigte wegen ihrer Berufstätigkeit erkrankt sind - etwa wegen Chemikalien, mit denen sie arbeiten -, muss dies der Unfallversicherung gemeldet werden. Im vergangenen Jahr gab es insgesamt knapp 106 000 sogenannte Verdachtsanzeigen, das waren 32 Prozent mehr als im Vorjahr. Das berichtete der Spitzenverband der Gesetzlichen Unfallversicherung am Mittwoch. Der starke Anstieg ist ausschließlich auf Erkrankungen durch das Coronavirus zurückzuführen. So gab es 30 329 Verdachtsanzeigen auf eine Berufskrankheit durch Covid-19. Zu den Betroffenen gehören insbesondere Beschäftige in Klinken und der Pflege, aber auch in Beratungsstellen, Arztpraxen und Kitas.

Anstieg um über 100 Prozent

Damit eine Krankheit tatsächlich als berufsbedingt gilt, müssen restriktive Bedingungen erfüllt sein: Die Beschwerden müssen wesentlich durch die Arbeit verursacht sein und die Menschen müssen ein erheblich größeres Risiko haben als andere.

Insgesamt hat die gesetzliche Unfallversicherung im vorigen Jahr rund 38 000 Fälle als Berufskrankheit anerkannt - das sind über 100 Prozent mehr als im Vorjahr. Auch dieser Anstieg ist im Wesentlichen durch die Pandemie verursacht: Rund 18 000 Menschen wurde bescheinigt, dass ihre Covid-19-Erkrankung berufsbedingt ist. Dabei gilt derzeit, von Einzelfällen abgesehen: Lediglich bei Beschäftigten im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege und in Laboren werden Covid-19-Leiden als arbeitsbedingt akzeptiert. Denn nur ihnen wird pauschal zugebilligt, dass sie ein erheblich höheres Infektionsrisiko haben als die übrige Bevölkerung.

Die Daten geben einen Eindruck, wie stark durch die Pandemie für viele Beschäftigte das Risiko gestiegen ist, im Job zu erkranken.

Erhebungen des Robert-Koch-Instituts deuten zudem darauf hin, dass der Arbeitsplatz als Ansteckungsort auch jenseits von Klinken und Altersheimen an Bedeutung gewonnen hat. Seit Jahresbeginn würden »Ausbrüche am Arbeitsplatz in der Tendenz zunehmen«, schreibt das RKI und bezieht sich dabei auf Angaben der Gesundheitsämter.

Diese melden dem RKI sogenannte Ausbrüche, bei denen sich mindestens zwei Personen mit dem Coronavirus infiziert haben und bei denen die Ämter herausfanden, wo sich die Menschen wahrscheinlich angesteckt haben - also beispielsweise, ob es im Privathaushalt passiert ist. Dienstags veröffentlicht das RKI die bundesweiten Daten zu Covid-19-Fällen (Infektionen und Erkrankungen), bei denen der mutmaßliche Ansteckungsort ermittelt wurde (siehe obere Grafik).

Die aktuellsten Angaben für die vergangene Woche können sich noch stark verändern, da es oft Nachmeldungen gibt. Etwas stabiler sind die Daten für die 7. Kalenderwoche vom 15. Bis 21. Februar.

Demnach sind die Infektionen in Alters- und Pflegeheimen stark zurückgegangen: von mehr als 10 000 in der ersten Januarwoche auf rund 1660 Mitte Februar. Der naheliegende Grund: Die Impfungen schützen mittlerweile viele alte Menschen.

Bei sehr vielen Covid-19-Fällen sind die Ämter zum Schluss gekommen, dass sich die Menschen in Privathaushalten angesteckt haben. Das war in den vergangenen Wochen ähnlich. Infektionsketten innerhalb einer Familie oder Wohngemeinschaft sind leichter zu ermitteln als beispielsweise in der U-Bahn, so das RKI. Darum sind Ansteckungen in der Wohnung wohl besser erfasst als andere.

Der Arbeitsplatz steht aktuell nach den Privathaushalten an zweiter Stelle bei den Orten mit den häufigsten Ausbrüchen. Die Gesundheitsämter fanden bei rund 1700 Infektionen heraus, dass sie wahrscheinlich während der Erwerbstätigkeit stattgefunden haben. Dabei sind Risikojobs in Betrieben wie Kliniken, Altersheimen, Kitas und Arztpraxen gar nicht enthalten, diese werden gesondert ausgewiesen.

Im Betrieb haben sich nach Recherchen der Gesundheitsämter auch im vorigen Jahr viele Menschen infiziert, Schlachthöfe sind dafür nur ein Beispiel. Derzeit ist allerdings die absolute Zahl der entdeckten Infektionen im Job sehr hoch - auch, weil das Virus sich zuletzt immer noch stärker verbreitete als im Frühjahr.

Der Ausbruch bei Miele

Einen der jüngsten Ausbrüche in einem Betrieb gab es im Miele-Werk in Euskirchen. Dort wurden 18 Beschäftigte positiv getestet, teilte das Unternehmen Ende Februar mit, zehn Personen hätten sich mit der britischen Variante infiziert - trotz eines »umfassenden Schutzkonzepts«. In der Halle, in der die Menschen gearbeitet haben, gelte zum Beispiel eine Maskenpflicht auch am Arbeitsplatz, es werde ständig Frischluft zugeführt und die Luftqualität regelmäßig untersucht, erläuterte ein Firmensprecher auf Nachfrage. In der 12 000 Quadratmeter großen und sechs bis neun Meter hohen Halle seien gleichzeitig maximal 80 Personen anwesend. Wie das Virus dennoch übertragen wurde, sei unklar.

Der Fall verdeutlicht, was im Grunde logisch ist: Wenn man die Infektionszahlen senken will, ist es sinnvoll, nicht nur im Privaten, sondern auch bei der Erwerbsarbeit Kontakte zu vermeiden.

Bei alldem sind die Gesundheitsämter weit davon entfernt, alle Infektionsquellen zu ermitteln. Mitte Februar konnten sie nur bei 20 Prozent aller Ansteckungen nachvollziehen, wo der Ausbruch wohl stattgefunden hatte (siehe untere Grafik). Dies liege etwa an der langen Inkubationszeit, so das RKI. Zudem sei es schwierig herauszufinden, wenn sich eine Person in einer anonymen Gruppen, etwa im Zug, angesteckt habe.

Zudem haben die Gesundheitsämter immer noch zu geringe Kapazitäten, um Ausbrüche zu erheben und die Daten weiterzuleiten. Das RKI vermutet, dass die Ämter über mehr Fälle Informationen haben, sie es aber nicht schaffen, diese ans RKI zu übermitteln. Es ist nicht absehbar, dass sich dies bald ändert. So dürften weiter viele Ausbrüche, in Betrieben und anderswo, im Dunkeln bleiben.