nd-aktuell.de / 12.03.2021 / Brandenburg / Seite 11

Rechte Täter bis heute straffrei

Opferperspektive rügt langes Warten auf Gerichtsprozesse in Südbrandenburg

Andreas Fritsche

Ein junger Flüchtling aus Gambia ist in Wittstock (Dosse) unterwegs zu seiner Ausbildungsstelle. Mehrere Rechte stellen sich ihm mit ihrem Auto quer in den Weg. Einer der Männer prügelt mit einem Baseballschläger auf den Flüchtling ein. Das geschieht im Mai vergangenen Jahres.

Es ist einer von 130 Fällen rechter Gewalt in Brandenburg, die der Verein Opferperspektive im Jahr 2020 registrierte. Am Donnerstag stellt die Opferperspektive die Zahlen vor. 130 Fälle - das waren nach den traurigen Rekorden der Jahre 2015 und 2016 noch einmal zwölf weniger als im Jahr 2019. Aber Entwarnung kann Vereinsgeschäftsführerin Judith Porath nicht geben. »So erfreulich der anhaltende Rückgang rechter Gewalttaten in Brandenburg ist, so besorgniserregend ist die zunehmende Gefahr rechtsterroristischer Gewalttaten«, sagt sie. »Die Angst davor und der weiterhin weit verbreitete Alltagsrassismus gefährden nicht nur die Lebensqualität, sondern auch die Gesundheit vieler Menschen in Brandenburg. Insbesondere in den Angriffen auf Kinder und Frauen wird die brutalisierende Wirkung des Rassismus deutlich.«

Von den 130 registrierten Gewalttaten waren zusammen 253 Personen betroffen, darunter 61 Kinder und Jugendliche sowie 49 Frauen. Es sind vor allem erwachsene Männer, die nicht davor zurückschrecken, Kinder oder Frauen zu attackieren - oder sogar eine alte Frau mit Rollator.

In 101 Fällen war Rassismus das Motiv der Gewalt. In zehn Fällen waren die Opfer politische Gegner der rechten Szene. Da die Opferperspektive die Querdenker insgesamt als rechte Bewegung einstuft - worüber sich diskutieren ließe - zählt sie auch folgenden Vorfall als rechte Gewalt: Eine Frau hatte sich in einem Laden aus Überzeugung hartnäckig nicht an die Maskenpflicht gehalten. Als sie aus dem Geschäft geschoben werden sollte, schlug sie um sich und verletzte eine Frau. Außer diesem Fall gab es in dieser Sparte aber nur noch einen anderen.

Man hätte annehmen können, dass die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit in den Lockdowns zu einer Abnahme rechter Gewalt geführt haben. Aus Sicht der Opferperspektive ist das aber nicht messbar gewesen. Die Täter schlugen dort zu, wo sich Menschen immer noch begegnen, beispielsweise auf dem Weg zur Schule, zur Arbeit oder zum Einkaufen. Aus Guben berichten Geflüchtete, dass dort einige Einheimische einen regelrechten Sport daraus machen, mit dem Rad zur Kaufhalle fahrende Flüchtlinge mit ihren Autos zu bedrängen. Zwei Fälle, bei denen die Täter dabei schwere Verletzungen oder sogar den Tod ihrer Opfer billigend in Kauf nahmen, haben in die Statistik Eingang gefunden. Mit 18 Angriffen liegt die Uckermark an der Spitze, aus Oberspreewald-Lausitz wurde der Opferperspektive keine einzige rechte Gewalttat bekannt. Mit nur noch zwölf Fällen scheint sich die in den Jahren 2015 bis 2018 noch sehr schlimme Lage in Cottbus deutlich beruhigt zu haben.

Allerdings wird generell eine hohe Dunkelziffer vermutet. Gerade in Südbrandenburg besteht das Problem, dass für die Täter hier eine »de facto Straffreiheit« bestehe, wie es Opferberater Joschka Fröschner formuliert. Die juristische Aufarbeitung ziehe sich hin. Kampfsportler, die vor drei bis viereinhalb Jahren in Cottbus und Umgebung zuschlugen, seien immer noch nicht vor Gericht gestellt worden. Diese Verzögerung von Verfahren hat Fröschner bereits früher gerügt und tut es nun erneut. Er sieht diese Entwicklung mit Besorgnis. Bei den Opfern führe dies dazu, dass sie schon sagen: »Eine Anzeige hat ja keinen Sinn.«

Dass die Zahl der Übergriffe trotz der zwei Lockdowns im vergangenen Jahr nicht merklich gesunken sind, nennt die Landtagsabgeordnete Andrea Johlige (Linke) »alarmierend«. Für sie kann nur ein gesellschaftliches Klima der Ächtung rassistischer Gewalt und rassistischer Beleidigungen dafür sorgen, die nach wie vor zu hohen Zahlen sinken.

»Die Opferperspektive leistet hervorragende Arbeit«, würdigt Grünen-Landeschefin Julia Schmidt. Sie sagt: Die Zahlen »unterstreichen einmal mehr, wie nötig dies ist«.