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Lebensgefährliche Recherchen

Immer wieder werden Journalisten in Afghanistan ermordet. Der Terror schnürt die freie Berichterstattung ein

  • Emran Feroz, Kabul
  • Lesedauer: 7 Min.

Fazelminallah Qazizais schwarzer Toyota ist verstaubt und abgenutzt. Der Wagen fährt, doch einige leichte Schäden sind bemerkbar. »Der muss mal dringend wieder gewartet werden«, sagt der 34-jährige Journalist, während er sich durch den anstrengenden Kabuler Verkehr durchschlängelt. Der Zustand des Autos ist nicht überraschend. Immerhin handelt es sich hierbei quasi um Qazizais Dienstwagen, mit dem er - stets selbst am Steuer - fast ganz Afghanistan bereist hat. Der Toyota hat mehr gesehen als die meisten Afghanen selbst: Von den Bergen des nördlichen Badakhshans bis hin zur Wüste Kandahars. Er hat die verschiedensten Checkpoints passiert: die der afghanischen Armee und Polizei, der IS-Milizen und Taliban sowie der US-Soldaten und Drogenschmuggler. Qazizai hat sie alle erlebt. Für den Journalisten, der hauptsächlich für internationale Medien berichtet, ist die stetige Präsenz vor Ort wichtig. Dabei lauern auch außerhalb Kabuls überall Gefahrensituationen. Sein Alltag in Afghanistan ist alles andere als einfach. Mittlerweile gehört das Land zu den gefährlichsten Ländern für Journalisten.

Anfang März wurden drei Journalistinnen des Fernsehsenders Enikass in der östlichen Stadt Dschalalabad von IS-Terroristen ermordet. Im vergangenen Jahr wurden mindestens acht Journalisten landesweit bei der Ausübung ihrer Arbeit getötet. Viele Medienschaffende sind in den letzten Wochen und Monaten geflüchtet. Für Qazizai kommt dies jedoch nicht infrage. »Ich habe hier meine Familie. Wir waren schon immer hier, und ich denke nicht, dass sich das ändern wird«, meint er. Aufgrund seiner Erfahrung und seiner guten Verbindungen ist Qazizai ein gefragter Mann. Während viele seiner Kollegen Fluchtpläne schmiedeten, kutschierte er vor wenigen Wochen die New Yorker Journalistenlegende Dexter Filkins durch Kabul und arrangierte für ihn Treffen mit Taliban-Offiziellen.

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Redaktionen hinter dicken Mauern

Wie viele andere Afghanen war er anfangs als sogenannter Fixer für ausländische Korrespondenten tätig, bevor er in den Beruf des Journalisten hineinrutschte. 2019 erschien sein erstes Buch über den Afghanistan-Krieg bei einem renommierten Londoner Hurst-Verlag. Trotz der Gefahrensituation hat sich der Arbeitsalltag für Qazizai kaum verändert. Dies habe allerdings auch damit zu tun, dass er im Vergleich zu anderen Gesichtern eher unbekannt ist. »Bekannte Kollegen, die auch regelmäßig im Fernsehen präsent sind, erleben eine andere Art der Bedrohung«, sagt er. Ein Beispiel hierfür ist etwa Mukhtar Lashkari, der eine satirische Fernsehsendung moderierte und in dieser auch bekannte Politiker und Warlords vorführte. Nachdem Lashkari zahlreiche Morddrohungen erhielt, tauchte er unter. Mittlerweile lebt er in der Türkei. »Das wird noch einige Zeit lang so weitergehen. Doch für die meisten von uns wird sich nichts ändern. Wir werden hierbleiben«, prognostiziert Qazizai.

Auf sein Umfeld achtet der Familienvater dennoch. Fremden gegenüber stellt sich Qazizai selten als Journalist vor. Seine Reise- und Recherchepläne teilt er nur mit engen Vertrauenspersonen. Ein Beispiel hierfür ist etwa sein Reporterkollege, der britische Journalist Chris Sands, mit dem Qazizai viele Erinnerungen teilt. »Wir sind gute Freunde und haben in Afghanistan viel erlebt. Ich weihe ihn stets in meine Pläne ein. Sollte mir je etwas passieren, weiß ich, dass ich auf Chris zählen kann«, meint er. Dennoch ist klar: Es ist mittlerweile eine Ausnahme, dass Journalisten rausgehen und als Reporter arbeiten. Die meisten seiner Kollegen verweilen in den Städten, allen voran in Kabul, und verlassen oftmals nur ungern ihre Redaktionsräume.

»Ich gehe nur raus, wenn es sein muss. Aufgrund der aktuellen Umstände geht es leider nicht anders«, meint Murtaza Pazhwak, während er an seinem Teeglas nippt. Pazhwak ist seit einigen Monaten für eine Kabuler Wochenzeitung tätig. Die Redaktionsräume liegen in der Nähe des bekannten Dar-ul-Aman-Palastes, der während der vielen Kriegsjahre zerstört und 2019 renoviert und wiedereröffnet wurde. Das Redaktionsgebäude, in dem Pazhwak und seine Kollegen arbeiten, befindet sich hinter dicken Mauern. Gemeinsam mit anderen Büros, die hier liegen, wird es von bewaffneten Soldaten bewacht. Wer das Gelände betreten will, muss sich ausweisen und wird durchsucht.

Nachdem Pazhwak sein Journalismusstudium in der westafghanischen Stadt Herat abgeschlossen hatte, wurde ihm die Stelle in Kabul angeboten. Ein Schlafzimmer in der Redaktion war mit inbegriffen. »Das kam mir nur recht«, meint der 25-Jährige. Er weiß, dass Journalismus auf diese Art und Weise nicht auf Dauer funktionieren kann. Eigentlich muss man raus und mit den Menschen reden, doch die jüngsten Entwicklungen bereiten auch Pazhwak Sorgen. Ihn beschäftigen die gezielten Attentate auf Journalisten sowie Drohungen und Anfeindungen seitens der Taliban und der afghanischen Regierung.

Zumindest Letztere hätte eigentlich die Aufgabe, die Pressefreiheit am Hindukusch zu beschützen; aber stattdessen findet Gegenteiliges statt. Der Zugang zu Informationen wird erschwert, und Regierungsoffizielle greifen regelmäßig in die Arbeit der Medienvertreter ein. Ein Beispiel hierfür ist etwa Vizepräsident Amrullah Saleh, der vor geraumer Zeit via Twitter Journalisten, die über zivile Opfer eines Luftangriffs berichteten, als Lügner bezeichnete und indirekt bedrohte.

Außerdem lässt sich ein unterschiedlicher Umgang mit ausländischen Reportern und Lokaljournalisten feststellen, und zwar in allen Lagern. Während etwa die Taliban zum Teil Journalisten der »New York Times« oder der »Washington Post« hofieren und ihnen »exklusive Einblicke« ermöglichen, sind unbekannte Gesichter wie Pazhwak und seine Kollegen den Drohungen ihrer extremistischen Gruppierungen hilflos ausgesetzt. Ähnlich verhält sich auch der Präsidentenpalast. Englischsprachige Statements werden etwa vorsichtig verfasst, Anfragen lokaler Journalisten bleiben dagegen meist unbeantwortet. Präsident Ashraf Ghani gewährt dem britischen Sender BBC oder anderen ausländischen Medien Interviews, aber afghanische Kollegen, die kritische Fragen stellen, werden von ihm als »ausländische Agenten« oder Ähnliches diffamiert. »Dies macht nur deutlich, dass Journalisten in Afghanistan von allen Seiten bedroht werden. Ich denke, dass die jüngsten Angriffe nicht nur auf das Konto der Taliban gehen«, sagt Pazhwak. Sein Resümee: Für das gegenwärtige Klima der Angst sind mittlerweile alle Beteiligten gleichermaßen verantwortlich.

Der Geheimdienst verfolgt Journalisten

Denn dass regierungsfreundliche Akteure ebenfalls Jagd auf Journalisten machen, ist kein Geheimnis. Involviert sind vor allem der Kabuler Sicherheitsapparat, allen voran Polizei und Geheimdienst, sowie afghanische CIA-Milizen wie die Khost Protection Force, die im Südosten des Landes aktiv ist. Ein Beispiel hierfür ist etwa der Fall des Radiojournalisten Rahim Sekander, der im vergangenen August in der Provinz Khost vom Geheimdienst NDS inhaftiert wurde, weil er sich in den sozialen Medien kritisch gegenüber der Regierung geäußert hatte. Noch immer sitzt er im Gefängnis.

»Die schlimmsten Kriminellen dieses Landes sind auf freiem Fuß, doch mein Bruder wurde verhaftet, weil er auf Facebook die Regierung kritisierte«, meint Siddiqullah, Sekanders Bruder, der sich gegenwärtig um dessen Familie kümmert. Bei dem Schicksal von Sekander handelt es sich mitnichten um einen Einzelfall. »Gegen die Sicherheitsorgane des Staates kann man kaum vorgehen. Sie attackieren die Pressefreiheit regelmäßig und genießen Narrenfreiheit«, meint Sayed Jalal, der als freier Journalist für internationale Medien tätig ist. Er gehört zu jenen Journalisten, welche die Gewalt des Staates am eigenen Leib zu spüren bekamen. 2019 wurde Jalal in Dschalalabad von Sicherheitskräften verhaftet, nachdem er vor dem pakistanischen Konsulat Fotos mit seinem Smartphone schoss.

Der Gouverneur intervenierte

Vor dem Gebäude hatte sich ein Chaos angebahnt, nachdem Hunderte von Menschen auf ihre Visa-Dokumente warteten. Jalal wollte ein Foto vom Geschehen auf Twitter teilen, doch dann schritt die Polizei ein. Er wurde verhaftet und verprügelt. »Mir wurde vorgeworfen, ein Terrorist zu sein. Es hieß, dass ich mit dem IS zusammenarbeiten würde. Ich machte mehrfach deutlich, dass ich Journalist bin, doch das wurde ignoriert«, erzählt Jalal.

Aus der Haft wurde er nur entlassen, weil der Provinzgouverneur - ein Freund von Jalals Bruder - intervenierte. »Wer weiß, was mit mir passiert wäre, wenn ich diesen Kontakt nicht gehabt hätte?«, fragt er sich. Die Prügelattacke der Sicherheitskräfte hat Jalal langfristig beeinträchtigt. Er musste mehrfach behandelt werden. Mittlerweile lebt auch er im Ausland und es fiele ihm schwer, sagt er, zurückzukommen, um vor Ort für eine Geschichte zu recherchieren. »Ich würde mich nicht sicher fühlen und mir die Frage stellen, ob es das wirklich wert ist. Journalisten werden von allen Seiten angefeindet - und am Ende des Tages beschützt sie niemand, zumindest nicht in Afghanistan«, sagt er.

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