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Neue Parteien, alter Sexismus

Bei den Wahlen in den Niederlanden dürften regierende Liberale Federn lassen

  • Sarah Tekath, Amsterdam
  • Lesedauer: 4 Min.

An diesem Mittwoch finden in den Niederlanden Parlamentswahlen statt, bei denen die 150 Abgeordneten der sogenannten Zweiten Kammer für die nächsten vier Jahre gewählt werden. Obwohl der 17. März der offizielle Wahltag ist, konnten aufgrund der Corona-Pandemie bereits am 15. und 16. März Stimmen abgegeben werden. Zumindest auf den Wahlzetteln zeigen sich schon jetzt zahlreiche Veränderungen. Von den 37 dort aufgelisteten Parteien sind mehr als die Hälfte Neugründungen. Außerdem gibt es mehr Frauen, die sich um ein Mandat bewerben, als je bei einer Wahl zuvor.

In den Umfragen führt die konservativ-liberale Volkspartei (VVD) von Ministerpräsident Mark Rutte zwar, sie dürfte aber nach den jüngsten Erhebungen Sitze im Parlament verlieren. Für die VVD werden 25 Prozent prognostiziert, auf dem zweiten Platz dürfte die rechtspopulistische Partei für die Freiheit (PVV) von Geert Wilders landen. Dahinter folgen die christdemokratische CDA und die linksliberalen Demokraten (D66).

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Die größten Chancen auf einen Platz im Parlament unter den Neulingen haben die rechtskonservative JA21, die Pro-EU-Partei Volt, die »bürgerdemokratische« Code Oranje und die linksgerichtete BIJ1. Bei JA21 handelt es sich um eine erst im Dezember 2020 vollzogene Abspaltung vom neurechten Forum für Demokratie (FvD). Ihr Parteiprogramm unterscheidet sich aber kaum von den Nationalisten. Die Hauptpunkte lauten: weniger Europa, mehr bezahlbare Wohnungen, mehr Grenzkontrollen, weniger Einwanderung, Durchsetzung von Recht und Ordnung mit einer Polizeistation in jedem Stadtteil. Den Gegenpol zu diesem Spektrum bildet BIJ1. Die Partei hat es sich zur Priorität gemacht, gegen den Rassismus in den Niederlanden anzugehen und will eine Gesellschaft mit gleichen Rechten und gleichen Chancen für alle. Gegen die Anti-EU-Linie von JA21 macht auch Volt Front. Die paneuropäische Partei ist der niederländische Ableger einer Bewegung, die unter anderem auch in Deutschland aktiv ist. Ihre Schwerpunkte sind Klimafragen, Migration, Sicherheit und soziale Ungleichheit.

Dass Code Oranje im Parlament gesehen wird, überrascht kaum. Der Parteivorsitzende Richard de Mos gehörte früher den von Geert Wilders gegründeten und weiterhin geführten Rechtspopulisten an. Code Oranje setzt auf ein Konzept von Ombudsleuten und auf größere Mitspracherechte in der Politik. Gleichzeitig wirbt die Partei für »weniger Europa« und eine restriktive Einwanderungspolitik.

Zur Rekordzahl neuer Parteien kommt ein Umbruch bei der Geschlechterverteilung. Zehn Parteien treten mit Frauen als Spitzenkandidatinnen an. Dazu gehören Sigrid Kaag für die linksliberale D66, Lilian Marijnissen für die Sozialistische Partei (SP) und Lilianne Ploumen für die sozialdemokratische Arbeiterpartei (PvdA). Auch die neue Linkskraft BIJ1 setzt mit Sylvana Simons auf eine Frau. Gleiches gilt für die Tierschutzpartei und die 50Plus-Partei, die sich für die Interessen der Menschen ab 50 Jahre stark macht.

Die hohe Zahl an Kandidatinnen hat auch das Problem von Sexismus und Frauenfeindlichkeit im Netz deutlicher zutage treten lassen, wie Untersuchungen der Universität Utrecht zeigen. Wissenschaftler analysierten gemeinsam mit dem Wochenmagazin »De Groene Amsterdammer« 339 932 Tweets aus dem Zeitraum 1. Oktober 2020 bis 26. Februar 2021, die sich auf Politikerinnen bezogen. Berücksichtig wurden ausschließlich solche Tweets, in denen diese markiert waren. Dabei kam heraus, dass mindestens jeder zehnte Tweet ein Hasskommentar oder frauenfeindlichen, sexistischen Inhalts war. Das Rechercheteam vermutet, dass die Zahl der Hassbotschaften ohne Markierung der jeweiligen Politikerin noch wesentlich höher ist.

Ein bevorzugtes Ziel solcher Hetze ist die Ministerin für Außenhandel und Entwicklungszusammenarbeit, Sigrid Kaag, von der Partei D66. Im betrachteten Zeitraum von knapp fünf Monaten lag die Anzahl der Hass-Tweets mit Bezug auf Kaag bei 13 235. Sylvana Simons, Gründerin der Partei Artikel 1 (neuer Name: BIJ1), war in 3122 Fällen betroffen.

Fast ein Drittel der Angriffe zielte auf Kauthar Bouchallikht von der grünen Partei Groenlinks (GL). Dies hängt damit zusammen, dass sie als muslimische Politikerin mit Kopftuch neben Sexismus auch noch Rassismus und Islamophobie ausgesetzt ist. In Tweets zu ihrer Person kamen häufig Formulierungen vor wie »marokkanische Hure« und »Terrormädchen«.

Stevo Akkerman, Kolumnist der Tageszeitung »Trouw«, kommentierte: »Das Schlimmste, was man in der Politik machen kann, ist weiblich zu sein.« Dabei sei es egal, welche politische Richtung die Frauen vertreten. »Wer sich gegen Sexismus ausspricht, erlebt nur noch mehr Sexismus.«

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