Feminismus für Adrenalinjunkies

Die Serie »Sky Rojo« über drei Sexarbeiterinnen wirkt irgendwie emanzipiert, bedient aber doch nur männliche Begehrlichkeiten

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Lipstick Feminism ist, wer den Begriff nicht kennt, das soziokulturelle Konzept, die Frau als Subjekt mit der Frau als Objekt zu versöhnen, damit sie gleichsam sexy und tough, burschikos und feminin, aufgedonnert und naturbelassen, Hülle und Kern sein kann. In unserer männlich dominierten Welt, die Weiblichkeit unverdrossen nach Schönheitskriterien definiert, ist seine Umsetzung zwar keinesfalls einfach, aber gut - der Weg zur Emanzipation war nie ein leichter. Im Gegenteil: manchmal führt er mit Vollgas durch blutgetränkten Wüstensand.

Auf dem nämlich fliehen drei Lippenstiftfeministinnen, die zu Beginn der Netflix-Serie »Sky Rojo« noch gar nichts davon wussten, welche zu sein, vom Ort einer brutalen Straftat aus Notwehr. Wenige Minuten zuvor haben die Sexarbeiterinnen Coral (Verónica Sanchez), Gina (Yany Prado) und Wendy (Lali Espósito) erst ihren Zuhälter, dann seine Bordellchefin umgebracht. Glauben sie zumindest, denn während die Flüchtigen in Stilettos und Minikleid durchs nächtliche Ibiza rasen, wird Zuhälter Romeo (Asier Etxeandia) gerettet und schwört Rache.

Heiße Girls und fiese Gangster, explizite Gewalt und sexualisierte Ästhetik, ein Puff in der Ödnis und literweise Kunstblut: fehlen eigentlich nur noch Zombies. Dann wären wir nicht im Streamingportal, sondern bei Quentin Tarantino, dem der spanische Showrunner Álex Pina und seine Autorin Esther Martínez Lobato unverkennbar nacheifern. Anders als das wesensverwandte »From Dusk Till Dawn« allerdings biegen die Macher von »Haus des Geldes« zügig in eine TV-Version von »Thelma & Louise« ab, womit wir wiederum beim Lipstick Feminism wären.

Auf ihrer achtteiligen Flucht vor Romeos leicht depperten, aber dafür umso skrupelloseren Killern Moises (Miguel Ángel Silvestre) und Christian (Enric Auquer), befreien sich die drei Frauen nicht nur vom Joch misogyner Gräuel. Sie drehen den Spieß um und werden von Opfern zu Tätern. Anders ausgedrückt: mit jeder weiteren Folge schlägt das leicht bekleidete Trio selbst befreiter Sexarbeiterinnen ihre männlichen Peiniger mit deren Brutalität, ohne dafür ihre Körperlichkeit zu negieren. Auge um Auge, Zahn für Zahn.

Damit bewegt sich »Sky Rojo« zwar vordergründig auf biblischem Terrain. Origineller für die Bewertung solch oberflächenpolierter Hochglanzformate ist aber, welches Geschlechterbild darin transportiert wird. Weibliche Emanzipation, will uns die Serie weismachen, funktioniert ja scheinbar dann am besten, wenn sie maskuliner agiert als die Männer selbst. So prügeln, schießen, töten sich die eben noch unterwürfigen Liebesdienerinnen zusehends routiniert durch ein Szenario ästhetisierter Brutalität, das traditionell den selbst erklärten Herren der Schöpfung vorbehalten ist.

Leider ist diese Action-Annexion, bei der alle paar Minuten irgendwer zu Boden geht, nicht nur deshalb so seifig, weil man ständig auf Blutlachen ausrutscht. »Sky Rojo« zelebriert Feminismus für Adrenalinjunkies mit Testosteronüberschuss, der zwar weibliche Hauptfiguren duldet, aber männliches Publikum anspricht. Schon deshalb gerät das präsentable Supermodeleinerlei aus makelloser Haut, angestuftem Haar und Körbchengröße 75C selbst dann nie außer Form, wenn Caro, Gina, Wendy mal wieder ein paar Kerle vermöbeln. Schon deshalb weckt das selbst liberalisierte Trio also gezielt Begehrlichkeiten bei denjenigen, aus deren Griff sie sich scheinbar befreien.

Aus (lipstick)feministischer Sicht ist das sogar noch reaktionärer als plumpes Macker-Entertainment à la »The Fast and the Furious«, dessen exakt dosierte Zahl weiblicher Sprechrollen ganz offen als Accessoire tradierter Herrschaftsansprüche dient. Wenn diese Hauptfiguren aber ihren Sexappeal über Leichenberge hieven, suggerieren sie dem Zuschauer, dass weibliche Mündigkeit nur im Rahmen männlicher Spielregeln gilt. Kein Wunder, dass die strukturell sexistische deutsche Synchronisation aus den kernigen Originalstimmen Lolita-Fiepsen macht. Vin Diesel dürfte »Sky Rojo« lieben.

»Sky Rojo« ab 19. März auf Netflix.

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