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  • Studentenproteste in Südafrika

Die Tür zur Universität geht zu

In Südafrika protestieren Studierende gegen Zwangsexmatrikulationen wegen ausstehender Studiengebühren

  • Christian Selz, Kapstadt
  • Lesedauer: 8 Min.

Es rumort an Südafrikas Universitäten. Seit zwei Wochen protestieren die Studierenden, weil viele von ihnen in der Zwickmühle sitzen. Denn wer etwas werden will im Land am Kap der Guten Hoffnung, braucht einen Hochschulabschluss. Doch zum Studieren fehlt das Geld. »Eine bessere Zukunft für alle« hatte der African National Congress 1994 auf seine Wahlplakate gedruckt und mit dem Einzug Nelson Mandelas ins Präsidialamt die Apartheid auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen. Eine Generation später fühlen sich heutige Schulabgänger der Chance beraubt, diese »bessere Zukunft« für sich zu schmieden.

Prägnant hat die aktuelle Lage der Studierenden der Karikaturist Mgobhozi auf den Punkt gebracht. Vor einer massiven Holztür, umrandet vom Natursteinmauerwerk einer Festung, hat der Johannesburger Künstler in der vergangenen Woche den Minister für Hochschulbildung Blade Nzimande, und den Polizeiminister Bheki Cele gemalt, letzteren mit Gewehr im Anschlag. Über der Pforte hängt ein Zitat aus der Freiheitscharta, dem Grundsatzdokument des ANC im Befreiungskampf: »Die Türen zum Lernen sollen geöffnet werden«. In Mgobhozis Karikatur hat jemand mit dem Rotstift das kleine Wort »nicht« dazu gekritzelt. Die Hürden auf dem Weg zu Bildung und besserer Zukunft sind als Bretter vor die Tür genagelt: »reduzierte Kapazitäten«, »Gebühren«, »Polizeibrutalität«, »Covid-Lockdown«, »Studentenschulden«, »Korruption« und »Austerität«.

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Fehlende Jobs und Schulden

In der Coronakrise hat sich über Südafrikas Universitäten ein Sturm zusammengebraut, der die Studierenden mit voller Wucht trifft. Weil der Lockdown Südafrikas Wirtschaftsleistung im vergangenen Jahr um sieben Prozent schrumpfen ließ und der auf Weltbankkredite wartende Finanzminister Tito Mboweni überdies die Unternehmenssteuer senken will, hat die Regierung auch den Bildungsetat zusammengestrichen. Doch nicht nur die Kassen der Unis sind leer, vielen Studierenden fehlen Nebenerwerbsquellen. Vor allem die Reisebranche und Restaurants leiden darunter, dass Touristen fernbleiben - nicht zuletzt, weil Länder wie Deutschland Südafrika trotz niedriger Sieben-Tage-Inzidenzwerte von derzeit 14 pro 100 000 Einwohner weiter als Risikogebiet einschätzen.

Armut und eine enorm hohe Ungleichverteilung von Reichtum sind jedoch keine neuen Probleme, sie wurden durch die Pandemie nur verschärft. Ablesen lässt sich dies beispielsweise an den Zahlungsrückständen für Studiengebühren an der Johannesburger Witwatersrand-Universität, die sich seit 2017 verdoppelt haben und zum Ende des vergangenen Jahres erstmals die Marke von einer Milliarde Rand (60 Millionen Euro) durchbrachen. Von 37 500 eingeschriebenen Studierenden sind einer Analyse des Nachrichtenportals »Daily Maverick« zufolge derzeit 27 000 auf Finanzhilfen und Stipendien angewiesen. Ziemlich genau die Hälfte der Ausstände bei den Gebühren, 538 Millionen von insgesamt 1,062 Milliarden Rand, hat die Universität bereits als »bad debt«, also nicht einziehbare Schulden, eingestuft. Landesweit, so berichtete »Daily Maverick« unter Berufung auf Professor Jonathan Jansen von der Universität Stellenbosch, belaufen sich die Ausstände der Studierenden bei ihren Universitäten inzwischen auf neun Milliarden Rand (540 Millionen Euro).

Eskalation in Johannesburg

Die Schuldenfalle hat für die Betroffenen drastische Konsequenzen. Allein an der Witwatersrand-Universität droht nach Angaben der Studierendenvertretung 6000 Studierenden aufgrund ausstehender Zahlungsforderungen die Zwangsexmatrikulation, an der Universität Kapstadt sind es etwa 2500. Als Hochschulbildungsminister Nzimande dann auch noch ankündigte, dass das südafrikanische Pendant des Studentenwerks, das National Student Financial Aid Scheme, in diesem Jahr aufgrund der Budgetkürzungen keine Studienanfänger fördern werde, brachte er das Fass zum Überlaufen. Als erste gingen die Studierenden an der Witwatersrand-Universität auf die Straße. Die Staatsmacht reagierte mit brutaler Gewalt. Am Rande der Proteste am 10. März schossen Polizisten mit Hartgummigeschossen einen 35-Jährigen nieder, der gerade aus einer staatlichen Arztpraxis gekommen war. Als der vierfache Vater, der mit den Protesten nichts zu tun hatte, sich berappelte und fragte, warum auf ihn geschossen worden sei, drückte einer der Uniformierten aus nächster Nähe ein weiteres Mal ab. Das Geschoss hinterließ eine klaffende Wunde unterhalb der Brust, der aus der Praxis geeilte Arzt konnte das Leben des Mannes nicht mehr retten. Da sei »einer einfach verrückt geworden«, kommentierte Polizeiminister Cele, ein grobschlächtiger Hardliner, der Polizeikräfte bereits mehrfach öffentlich zum Einsatz tödlicher Gewalt aufgefordert hatte, lapidar das Verhalten des Schützen. Eine Reform des immer wieder durch brutale Tötungen schockierenden Polizeiapparats blockiert der Minister weiterhin - obwohl entsprechende Pläne, ausgearbeitet von einer Expertenkommission, seit Jahren auf seinem Schreibtisch liegen.

Weder die Arroganz Celes noch dessen schießwütige Truppen konnten in den Folgetagen die losgetretene Dynamik an den Universitäten aufhalten. Keine 24 Stunden nach dem tödlichen Polizeiübergriff versammelten sich unter den knorrigen Eichen des noch immer von einer Aura kolonial-elitärer Pracht durchzogenen Campus der Universität Kapstadt einige Hundert Studierende zu einem Strategietreffen unter freiem Himmel. Die Stimmung war kämpferisch bis gereizt. »Ich bin arm, ich bin schwarz und ich bin Studentin - darum geht es hier«, brachte eine Studentin die Lage auf den Punkt. Denn letztlich werfen die Proteste auch die Frage auf, wer in Südafrika überhaupt studieren darf.

Schon das Schulsystem manifestiert die Klassengesellschaft. Die Besserverdienenden schicken ihre Sprösslinge auf sündhaft teure Privatschulen, während in armen ländlichen Regionen teils noch in Lehmhütten oder unter Bäumen unterrichtet wird. Doch selbst staatliche Schulen erheben Schulgebühren, deren Höhe sich nach dem Durchschnittseinkommen der Nachbarschaft richtet, in der sie sich befinden. Während die Schulen der öffentlichen Hand in den Vierteln der Besserverdienenden so Zusatzeinnahmen generieren, von denen sie bessere Ausstattung anschaffen und zusätzliches Lehrpersonal anstellen können, bleibt den Schulen mit niedrigen oder gar keinen Gebühren lediglich die vom Staat gestellte Basisausstattung. In der Praxis bedeutet dies, dass vor allem in den Townships der verarmten, überwiegend schwarzen Bevölkerungsmehrheit weniger Lehrer größere Klassen mit schlechteren Mitteln unterrichten. Entsprechend fallen alljährlich die Abschlussstatistiken aus. Kinder aus ärmeren Haushalten haben deutlich schlechtere Chancen, überhaupt bis zum Matric, dem landesweit einheitlichen Abschlussexamen, auf der Schule zu bleiben - vom Erreichen der Hochschulreife ganz zu schweigen.

Schulspeisung eingestellt

Bildung ist und bleibt eine Ware in Südafrika und Chancengleichheit für die allermeisten deshalb ein ferner Traum. Im Lockdown hat sich die Situation noch einmal verschärft. Während sich die Eliteschulen mit Heimunterricht behelfen konnten, schaffte es die Regierung im März vor einem Jahr nicht einmal, das Schulspeisungsprogramm aufrechtzuerhalten, auf das zehn Millionen Kinder landesweit angewiesen sind. Genau in der Zeit, als viele prekär Beschäftigte, Tagelöhner und informelle Straßenhändler aufgrund der harten Ausgangssperre keinerlei Einkommen mehr hatten, brachte der Staat so viele Schüler um ihre einzige warme Mahlzeit des Tages. Es folgte ein Ansturm auf Suppenküchen und Ausgabestellen von Essenspaketen, wo unzählige Menschen stundenlang dicht gedrängt auf Nahrungshilfen warteten. Zeitgleich gingen die Infektionszahlen im Land durch die Decke.

Auch an den Universitäten macht sich die soziale Spaltung in der Krise verstärkt bemerkbar. Auf Laptops, die Nzimande versprochen hatte, warten Studierende bis heute. Immerhin nahm der Minister inzwischen die Streichung der Förderung für Erstsemester nach den Todesschüssen von Johannesburg zurück. Die Proteste haben sich dennoch auf zahlreiche Universitäten im ganzen Land ausgeweitet. »Jeder Studierende muss sich einschreiben können, ausstehende Gebühren müssen gestrichen werden«, bringt Declan Dyer, Präsident der Studierendenvertretung an der Universität Kapstadt, die Kernforderung der Protestierenden auf den Punkt. Nach dem Willen der Studierenden sollten die Universitäten dazu mehr Mittel vom Staat einfordern. Doch Hochschulbildungsminister Nzimande hat in der vergangenen Woche noch einmal unterstrichen, dass seine Behörde »nicht in der finanziellen Position« sei, »die Institutionen zu unterstützen, um sämtliche Schulden der gebührenzahlenden Studenten zu begleichen«.

Das Dilemma für den Staat liegt darin, dass infolge der Krise immer mehr Studierende anspruchsberechtigt sind, weil ihre Eltern durch Arbeitsplatzverluste unter die entsprechende Einkommensgrenze von 350 000 Rand (20 000 Euro) pro Jahr und Haushalt gerutscht sind. Schon zuvor hatten allerdings Mittel für diejenigen gefehlt, deren Familien zwar etwas zu hohe Einkommen hatten, die teils exorbitanten Gebühren aber dennoch nicht aufbringen konnten. An den führenden Universitäten kostet ein Bachelorstudium jährlich durchschnittlich zwischen 40 000 und 60 000 Rand, manche Fachrichtungen wie beispielsweise Medizin sind allerdings nahezu doppelt so teuer. Zudem wurden 2017, als der damalige Präsident Jacob Zuma die Gebührenübernahme für Studierende aus armen Haushalten einführte, die Altschulden der bereits Eingeschriebenen nicht gestrichen.

Studierende brechen mit dem ANC

Zuma, der noch 2015 die Studierendenproteste gegen Gebührenerhöhungen niederknüppeln ließ, nutzte zwei Jahre später die Ankündigung des gebührenfreien Studiums für Arme als letzte Trumpfkarte, um einen Rücktritt wegen schwerer Korruptionsvorwürfe abzuwenden. Doch es half ihm nichts, im Februar 2018 musste er sein Amt niederlegen.

Nachdem sie fast ein Jahrzehnt lang hemmungslos die Staatskasse geplündert hatte, spielen der Altpräsident und seine Gefolgsleute sich heute als Rächer der Entrechten auf. Als die Studierenden kürzlich vor die Parteizentrale zogen, sprach ANC-Generalsekretär Ace Magashule, ein Zuma-Mann und derzeit selbst angeklagt, weil er sich bei der - letztlich überhaupt nicht erfolgten - Asbestsanierung von Sozialwohnungen bedient haben soll, ihnen gar Mut zu. Sie sollten weiterdemonstrieren, bis ihre Forderungen erfüllt würden, tönte der Inhaber des höchsten Amtes der Regierungspartei allen Ernstes.

Die Studierenden werden so zu Bauernopfern der parteiinternen Grabenkämpfe zwischen der neoliberalen Kürzungsfraktion von Präsident Cyril Ramaphosa auf der einen und dem Zuma-Magashule-Lager auf der anderen Seite. Bereit, dieses zynische Spiel noch länger mitzuspielen, scheinen sie jedoch nicht. Der Protest hat längst auch eine größere politische Dimension angenommen. Wenn der ANC nicht die Chance auf ein besseres Leben garantieren kann, dann ist er für viele Studierende nicht mehr Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. »Der ANC muss fallen«, forderte eine Studentin auf dem Treffen in Kapstadt deshalb und erhielt reichlich Beifall. Ihre Wortwahl erinnerte dabei nicht zufällig an die Proteste 2015, als Studierende ursprünglich den Fall der Statue des Kolonialherren Cecil John Rhodes - und anschließend die Abschaffung von Studiengebühren - verlangten. Rhodes ist damals tatsächlich gefallen, der ANC ist noch an der Macht. Aber noch in diesem Jahr stehen landesweit Kommunalwahlen an. Für den ANC könnten die zu einem Desaster werden.

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