Militär feiert sich mit Tötungsorgie

Allein über 100 Menschen kamen in Myanmar Sonnabend am »Tag der Streitkräfte« ums Leben

  • Thomas Berger
  • Lesedauer: 4 Min.

Traditionell ist der 27. März in dem südostasiatischen Land der Tag der Streitkräfte, an dem sich die mächtige Armee (Tatmadaw) selbst feiert. Erinnert wird an den Beginn des bewaffneten Aufstandes der Befreiungsarmee gegen die japanische Besatzung des damaligen Burma im Frühjahr 1945, und auch diesmal gehörte eine größere Militärparade zum Pflichtprogramm des Tages. In seiner Rede verteidigte Armeechef General Min Aung Hlaing noch einmal unter Verweis auf »Wahlfälschung« und »Korruption« den Putsch vor acht Wochen, mit dem die gerade im November mit großer Mehrheit wiedergewählte De-facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi und ihre Nationale Liga für Demokratie entmachtet worden waren. Suu Kyi, deren Vater General Aung San dereinst als Nationalheld den Kampf um die Unabhängigkeit gegen Briten und Japaner anführte, ist seither in Haft. Der neue Machthaber stellte in seiner Ansprache zwar Neuwahlen in Aussicht, ohne aber ein Datum zu nennen. Und er sprach von »terroristischen Bedrohungen«, gegen die sich die Armee wehren müsse.

Gemeint ist damit die friedliche Widerstandsbewegung gegen den Putsch: Studierende sowie Mediziner*innen und Pflegekräfte waren die ersten, inzwischen stehen Lehrkräfte, kleine Ladeninhaber*innen, Tagelöhner*innen, Taxifahrer*innen und viele andere in trauter Eintracht gegen ein neues Militärregime, dessen Brutalität in der versuchten Niederschlagung der Proteste immer deutlicher zutage tritt. Schon im staatlichen Rundfunk und Fernsehen gab es am Freitag kaum verhohlene Drohungen, dass der folgende Feiertag besonders viel Gewalt seitens der Sicherheitskräfte sehen könnte: Demonstranten würden Gefahr laufen, »in den Kopf und in den Rücken« geschossen zu werden, hieß es. Dass dies keine leeren Worte waren, erwies sich am Sonnabend: Das führende Nachrichtenportal »The Irrawaddy« hatte bis zum Abend mindestens 102 Tote gezählt. »Myanmar Now«, eine andere noch existierende unabhängige Stimme des Journalismus, kam auf mindestens 114 Opfer.

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Unter den Toten ist auch ein 13-jähriges Mädchen. Und in der zweitgrößten Stadt Mandalay gab es einen besonders grausigen Vorfall, den »Myanmar Now« schildert. Anwohner Aye Ko, der eine von einer Armeeeinheit in Brand gesteckte Barrikade aus alten Reifen nahe seinem Haus löschen wollte, sei von den Soldaten erst angeschossen und dann, noch lebend, auf dem Reifenstapel verbrannt worden. Der 40-Jährige, der seinen Unterhalt als Getränkeverkäufer verdiente und neben seiner Witwe vier Kinder hinterlässt, soll noch um Hilfe geschrien haben. Insgesamt soll es in gut 40 Orten Tote gegeben haben, neben der Wirtschaftsmetropole Yangon und Mandalay auch viele kleinere Städte. Besonders hoch waren Brutalität und Opferzahl offenbar in der südlichen Hafenstadt Dawei.

Die Rede ist auch von immer mehr gezielt durch Kopfschüsse Getöteten, »The Irrawaddy« und die Gefangenenorganisation AAPP hatten zudem schon bis Freitag 20 Kinder und Jugendliche unter den Opfern gezählt, als Jüngste ein sechsjähriges Mädchen. Während neben Gesandten aus China und Russland auch Militär-Attachés aus Indien, Pakistan, Bangladesch, Vietnam, Thailand und Laos der Armeeparade beiwohnten, wurde die neuerliche Gewalteskalation international scharf verurteilt. »Heute ist ein Tag der Schande für die Armee«, sagte auch Dr. Sasa - der Arzt, der nur einen Namen nutzt, ist Sprecher der teils ins Exil gegangenen neuen Parlamentarier*innen und damit eines der wichtigsten Gesichter des Widerstands. »Wie viele von uns müssen noch sterben, bevor ihr real etwas tut?«, rief er die internationale Gemeinschaft zum Handeln auf - beispielsweise, indem Waffenkäufe des Militärs unterbunden würden.

Auch der russische Vizeverteidigungsminister nahm an der Militärparade teil. Laut der russischen Agentur Tass kündigte Fomin an, dass Russland und Myanmar eine militärische und militärtechnische Zusammenarbeit ausbauen wollen. Fomin nannte Myanmar demnach einen »zuverlässigen Verbündeten und strategischen Partner in Südostasien und pazifischen Raum«. Min Aung Hlaing sagte laut der britischen BBC, dass Russland ein »wahrer Freund« sei.

Schon vor der jüngsten Gewalteskalation hatten sich die Anführer diverser Rebellengruppen der ethnischen Minderheiten einer neuen Gesprächseinladung Hlaings verweigert. Erst müsse die Junta das Land auf den demokratischen Weg zurückbringen, sind sich unter anderem Yawd Serk, Vorsitzender des Restoration Council for Shan State (RCSS), und Padoh Saw Mutu Say Poe von der Karen National Union (KNU) einig. Die KNU, die mit der Armee seit 2012 ein Waffenstillstandsabkommen hat, ist Myanmars älteste Rebellenarmee. Während in der Hauptstadt die Parade abgehalten wurde, nahm die KNU Tatmadaw-Soldaten fest und überrannte eine Militärbasis, wobei zehn Soldaten getötet wurden. Die KNU, die Teile des Südostens kontrolliert, berichtete am Samstagabend, dass Kampfflieger der Tatmadaw daraufhin gegen 20 Uhr einen Angriff auf Day Pu Nom, ein Dorf an der Grenze zu Thailand, geflogen seien.

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