«Das ist nicht nur politisch bescheuert»

Mit dem neuen BND-Gesetz reagiert die Große Koalition auf Kritik des Verfassungsgerichts, das wohl erneut Mängel anzeigen wird

«Eigentlich ist es kaum zu glauben», eröffnet André Hahn, der für die Linksfraktion im parlamentarischen Kontrollgremium die Arbeit der Geheimdienste kontrollieren soll, seine Bundstagsrede zum BND-Gesetz und bezeichnet den jetzt zur Abstimmung gebrachten Gesetzentwurf als «dreist». Für Hahn ist klar, dass im überarbeiteten Gesetz weiterhin so viele Mängel stecken, dass diese erneut das Bundesverfassungsgericht auf den Plan rufen werden.

Rückblick: 2013 nutzte weltweit eine Reihe renommierter Medien Informationen von Edward Snowden, um die anlasslose Massenüberwachung des Internets durch westliche Geheimdienste aufzudecken. Snowden, der bei einer Partnerfirma des US-amerikanischen Geheimdienstes NSA angestellt war, hatte Einblick in die internationalen Kooperationen. Schnell wurde aus der NSA-Affäre auch eine BND-Affäre, denn der deutsche Auslandsgeheimdienst stellte sich als Nutznießer und Servicedienstleister der NSA heraus. Datenströme, die am weltweit größten Internetknotenpunkt DE-CIX in Frankfurt am Main durchlaufen, leitete der BND um und wertete diese mit der Software Xkeyscore der NSA aus.

Im NSA-Untersuchungsausschuss, der sich zwischen 2014 und 2017 für den Bundestag mit der Affäre befasste, flogen zahlreiche Unstimmigkeiten auf. So wurde bekannt, dass der BND bei einer Vielzahl an Datenweiterleitungen, die auf Anweisung der NSA durchgeführt wurden, nicht ansatzweise beurteilen konnte, ob gegen deutsche Grundrechte oder Menschenrechte verstoßen wurde, da die Daten nur als unbewertbare Hashwerte vorlagen. Die Software der NSA wird auch beim Bundesverfassungsschutz zur Analyse eingesetzt.

Noch vor Ende der Arbeit des NSA-Ausschusses peitschte die damals mit 83 Prozent Mehrheit regierende Große Koalition 2016 ein BND-Gesetz durch, das sich später als verfassungswidrig herausstellte. Der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter verlor nun in der Rede zum überarbeiteten Gesetz darüber kein Wort, zeigte sich demütig, denn man reagiere pflichtgemäß auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Er lobte das neue unabhängige Kontrollgremium, das künftig von den Vertretern des Parlamentarischen Kontrollgremiums gewählt wird. Auch hier ist die Regierungsmehrheit maßgeblich, mit deren Hilfe das zunächst verfassungswidrige Konstrukt auf den Weg gebracht wurde.«Wir sind zu einem für beide Seiten in der Koalition sehr tragfähigen Ergebnis gekommen», meinte Kiesewetter und sah die Koalition «als absolut handlungsfähig» an.

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Mit dem neuen Gesetz kann der BND nun bis zu 30 Prozent der Übertragungskapazitäten aller global bestehenden Kommunikationsnetze« überwachen. Eine Grenze, die fließend ist. Zumeist sind die Glasfaserverbindungen, aus denen die Daten ausgeleitet werden, nicht ansatzweise ausgelastet, so dass 30 Prozent auch die komplette Leitung betreffen können. Auch der Zugriff durch den BND auf Dienste wie Facebook und Google ist nun legal möglich - und betrifft somit auch viele deutsche Nutzende. »Das Fazit des neuen Gesetzes lautet erneut: Ausspähen unter Freunden wird legalisiert und ausgeweitet«, schreibt André Meister vom Blog »netzpolitik.org«.

Menschenrechtsorganisationen kritisierten das neue Gesetz und kündigten rechtliche Schritte an. Amnesty International bezeichnete die Regelungen, nach denen der BND geeignete Telekommunikationsnetze selbst für die Überwachung auswählen darf, als »ein Einfallstor für unkontrollierte und anlasslose Massenüberwachung.«. Reporter ohne Grenzen und die Gesellschaft für Freiheitsrechte, die bereits die erste Verfassungsbeschwerde auf den Weg gebracht hatten, wollen voraussichtlich erneut vor das Verfassungsgericht in Karlsruhe ziehen.

»Das, was die Große Koalition hier heute hinlegt, reicht leider hinten und vorne nicht«, kritisierte der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz die unzureichenden Regeln für die parlamentarische Kontrolle, wie sie mit dem überarbeiteten BND-Gesetz nun angewendet werden sollen. Dass es eines Urteils aus Karlsruhe bedurfte und selbst danach nur eine Minimallösung präsentiert werde, nannte von Notz ein »Armutszeugnis«.

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