»Eine andere Art der Verletzung«

Ein Gespräch mit Nina Smolzinsky von »218ABTREIBEN« über Hass gegen Menschen, die Abbrüche vornehmen lassen

  • Nina Schaefer
  • Lesedauer: 5 Min.

Was zeigt Ihr Ausstellungsstück »218ABTREIBEN«?

Meine Kommilitonin und ich stellen Fotos auf Plakaten aus. Es sind Fotografien von uns selbst auf schwarzem Untergrund. Wir stellen eine durchschnittliche Person dar, der man überall auf der Straße begegnen kann. Unter diesen ist jeweils, in blau stilisiert, ein Hasskommentar von Instagram, Twitter oder Facebook zu lesen. Es geht darum, was sich Frauen für Kommentare über ihre Abtreibung anhören müssen.

Nina Smolzinsky

Die 21-jährige Mediendesignstudentin an der Ostfalia Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Salzgitter, Nina Smolzinsky aus Seesen (Niedersachsen), hat das Ausstellungsstück »218ABTREIBEN« gemeinsam mit ihrer Kommilitonin Annalia Willeke erarbeitet. Das Projekt ist Teil der Ausstellung »Maria und der Paragraph« die den Paragraphen 218 verhandelt, der Abtreibung an sich illegal macht. Mit Smolzinsky sprach Nina Schaefer über das Gemeinschaftsgefühl der Ausstellung und darüber, welche Hetze Menschen, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen, auch von Frauen trifft.

Von wem sind diese Kommentare?

Von Frauen. Wir haben uns darauf fokussiert, dass Frauen nicht nur von Männern, sondern auch von anderen Frauen im Netz angegriffen werden. Für ihre Entscheidung abzutreiben, aber auch generell für ihre Lebensweise. Da sind wir im Netz leider auch sehr schnell fündig geworden. Wir haben in dem Zusammenhang auch Sticker machen lassen, auf denen die Kommentare abgedruckt sind. Diese werden in der Ausstellung verteilt und zeigen, wie sinnlos es ist, wenn man von fremden Leuten so einen Spruch an den Kopf geworfen bekommt. Da stehen dann nicht so schöne Sachen drauf, wie zum Beispiel »Feministen-Fotze«. Mit diesen Kommentaren wollen wir natürlich provozieren.

Welche Art von Kommentaren haben Sie gefunden?

»Halt die Fresse du hässlicher Feminazi. Und dann wundern, warum dich keiner ficken will.« Oder: »Bist zu dumm, um mit Gummi zu ficken und machst dann noch die Kirche dafür verantwortlich, dass kein Arzt das Balg raussaugen kann.« Und da haben wir echt die Luft angehalten. Dass solche Kommentare wirklich existieren und so voller Hass sind.

Warum ist es Ihnen ein besonderes Anliegen zu zeigen,dass auch Frauen Hasskommentare verbreiten?

Eigentlich ist es ja wichtig, dass gerade Frauen zusammenhalten in einer Gesellschaft mit patriarchalen Strukturen. Dass man sich nicht noch gegenseitig runterziehen sollte. Man sollte zusammenarbeiten, um diese Strukturen zu durchbrechen. Dass man einfach Frauen Frauen sein lassen sollte.

Haben Sie Sorge, dass dies falsch verstanden werden könnte? Dass die öffentliche Reaktion ist: Sie zeigen damit doch nur, dass Frauen genauso gehässig gegenüber Frauen sein können wie andere Geschlechter.

Das haben wir natürlich auch gedanklich durchgespielt. Der Öffentlichkeit sollte es egal sein, ob der Kommentar von einer Frau oder einem Mann kommt. Das ändert nichts an der Tatsache, dass der Paragraph abgeschafft werden sollte. Aber auf meiner persönlichen Ebene als Frau ist es natürlich trotzdem etwas anderes, ob mich ein Mann oder eine Frau für meine Abtreibung anfeindet. Von Männern ist man es quasi gewöhnt, dass man kritisiert wird. Dass, wenn ich einen Mann zurückweise, ich gesagt bekomme: »Du bist ja eh hässlich«. Okay. Aber wenn ich als Frau von einer anderen Frau beschimpft werde, weil ich abgetrieben habe, löst das noch mal eine andere Art der Verletzung aus.

Welche Wirkung erhoffen Sie sich mit dieser Ausstellung?

Unsere Hoffnung ist, dass sie zum Nachdenken anregt. Wenn ich selbst diese Kommentare lese, dann kriege ich die nicht mehr so schnell aus dem Kopf. Wenn andere sie in der Ausstellung lesen, hoffen wir, dass ein Denkprozess anspringt. Dass wir etwas in den Menschen bewegen können. Und sie das vielleicht auch ihr persönliches Verhalten reflektieren lässt. Sie können nachspüren, wie es ist, wenn man grundlos beleidigt wird. Wenn sich jemand so in ein Leben einmischt.

Nach welchen Kriterien haben Sie die Kommentare ausgewählt?

Uns waren Influencer bekannt, die öffentlich Hasskommentare gepostet haben. Dann haben wir uns durch die Diskussionen unter dem Bild geforstet. Wir wollten eine große Bandbreite zeigen, nicht nur: »Abtreibung finde ich falsch.« Wir haben auch Kommentare gegen Frauen mitgenommen, die schon Mütter sind und dann abtreiben. Dabei sind wir auf erschreckend viele rechtsradikale Pro-Life-Personen gestoßen, die versuchen Menschen online zu beeinflussen oder sie niedermachen.

Haben Sie persönlich auch Erfahrungen mit dem Thema gemacht?

Ich habe keine Abtreibungen vornehmen lassen. Aber wenn ich als junge Frau etwas im Internet von mir preisgebe, wird es oft kritisiert. Deswegen kann ich mir das sehr gut vorstellen. Weiterhin spielte für mich persönlich auch rein, dass mich meine Mutter sehr jung bekommen hat. Da merke ich oft, dass das Thema Abtreibung bei manchen Familienmitgliedern gar nicht gut ankommt. Und da geht es ebenfalls Frau gegen Frau. Ich finde das sehr schade, aber gleichzeitig heizt es mich auch an, dagegen zu stehen. Ich hätte das auch verstanden, wenn meine Mutter gesagt hätte: »Das ist mir zu früh, ich habe keine Möglichkeit, das Kind aufzuziehen«. Dann hätte ich ihr gesagt: »Mach, was richtig für dich ist«.

Wie finden Sie die gesamte Ausstellung »Maria und der Paragraph«?

Wenn ich durch die Ausstellung gehe, fühle mich sehr empowered und befreit. Denn die anderen Ausstellungsstücke stehen ebenfalls dafür, dass jede Frau selbst entscheiden sollte. Was ich auch sehr bewegend finde, ist ein Ausstellungsstück,bei dem die Gründe aufgelistet sind, warum Frauen abgetrieben haben: »Ich war Opfer einer Vergewaltigung« oder »Ich schaffe das psychisch nicht, weil ich unter Depressionen leide«.

Hat sich Ihre Einstellung zu dem Themenfeld Schwangerschaftsabbruch während der Arbeit an der Ausstellung verändert?

Es hat mich in meiner Meinung noch bestärkt. Es hat mich aber auch mehr aufgeklärt. Ich kannte den Paragraphen vorher, aber jetzt weiß ich mehr über seine Geschichte, seine Entstehung und wer das entschieden hat. Ich wusste zum Beispiel nichts davon, dass früher auch schon öffentlich mit Veranstaltungen gegen den Paragraphen protestiert wurde. Das hat mir gezeigt: Ich bin mit meiner Meinung nicht alleine. Das hat ein Gemeinschaftsgefühl in mir ausgelöst.

Was hoffen Sie, wie es im Bereich reproduktiver Rechte weitergeht?

Ich hoffe natürlich, dass wir erleben, dass der Paragraph 218 abgeschafft wird. Dass es nicht solche Rückschritte wie in unserem Nachbarland Polen gibt, wo das Abtreibungsgesetz wieder verschärft wurde. Ich will, dass Frauen über ihren eigenen Körper bestimmen können. Es gibt auch diesen schönen Spruch: »No uterus, no opinion«. Den würde ich vielleicht noch erweitern zu: »My uterus, my opinion«. Und auch wenn das kein internationales Feuerwerk ist, was wir mit unseren kleinen Stickern machen, hoffe ich doch, dass es wenigstens bei ein paar Leuten etwas verändert.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal