Sich nicht brechen lassen

Sexuelle Geschäfte, Gewalt und Selbstbewusstsein: Mary Gaitskills Storys »Bad Behavior« wiederveröffentlicht

  • Frank Schäfer
  • Lesedauer: 4 Min.

Mary Gaitskills Erzählsammlung »Bad Behavior« wird bei ihrem Erscheinen in den USA 1988 sofort zu einem Skandalerfolg und zu einem »Kultbuch«, weil sie die literarische Öffentlichkeit mit weiblichen Erfahrungswelten konfrontiert, über die man offensichtlich noch nicht so viel gelesen hatte. Dass ein männlicher Erzähler in den Puff geht, gehört seit langem zum Tagesgeschäft des dreckigen Realismus. Dass eine Prostituierte über ihren Alltag und ihre merkwürdige Beziehung zu Freiern erzählt, lässt die New Yorker Eggheads Ende der Achtziger immer noch unruhig auf ihren Stühlen herumrutschen, zumal diese Geschichten auch noch auf eigener Anschauung zu beruhen scheinen.

Gaitskill macht nie einen Hehl daraus und spielt in den Geschichten immer wieder mit ihrer autobiografischen Grundierung: »Sie stellte sich vor, wie sie in ferner Zukunft als erfolgreiche Autorin problemlos darüber sprechen könnte, dass sie einmal Nutte war, ohne dass jemand Anstoß daran nehmen würde«, schreibt sie und nichts anderes passiert hier. Gaitskill treibt das Katz-und-Maus-Spiel mit dem Realitätsnachweis sogar noch eine Runde weiter, wenn sie ihr Alter ego, die Schriftstellerin Stephanie, über den verlogenen Kulturbetrieb stöhnen lässt, während sie ihren Brotjob als »eine Art Trost« empfindet, bei dem »ihr Gehirn sich ausruhen konnte«. 2002 erschienen diese Storys unter dem Titel »Schlechter Umgang« bei Rowohlt, nun gibt es eine Neuübersetzung von Nikolaus Hansen bei Blumenbar.

Gleich in mehreren Geschichten sind schreibende Huren die Protagonistinnen, als ein bemitleidenswertes Opfer wird keine von ihnen dargestellt. Genau das ist der Glutkern von Gaitskills Schreiben. Was ihren Antiheldinnen auch widerfährt, ob sie Geld brauchen und deshalb Männern sexuelle Dienstleistungen verkaufen, ob sie emotional erpresst oder von einem übergriffigen, seine Machtposition ausnutzenden Chef dazu gedrängt werden, sie weist ihnen nicht so einfach die Opferrolle zu. Obwohl sie sich in einer wie auch immer untertänigen Situation befinden, bestehen sie weiterhin auf ihre Unabhängigkeit und Selbstbestimmtheit.

Am deutlichsten zeigt das ihre berühmte, 2002 von Steven Shainberg ziemlich schmonzettenhaft verfilmte Geschichte »Secretary«. Die labile Debby weiß nichts mit sich anzufangen, macht einen Schreibmaschinenkurs und bekommt einen Job als Sekretärin bei einem Anwalt. Ihr Chef ist ein Sadist, der ihre Tippfehler irgendwann mit Schlägen auf den Hintern sanktioniert. Die Bestrafungen häufen sich, und schließlich kommt es zum sexuellen Übergriff. Wieder soll sie sich umdrehen, dieses Mal aber auch Strumpfhose und Slip herunterziehen. »Zunächst schien er gar nichts zu machen. Dann spürte ich hinter mir das kleine, wilde Aufbäumen gesammelter Energie. Ich musste an ein bösartiges kleines Tier denken, das mit seinen winzigen Klauen und Zähnen wie besessen einen Gang gräbt.«

Debby erduldet diese An- und Übergriffe ihres Chefs und empfindet fast so etwas wie Lust dabei. Selbst bei der finalen Vergewaltigung versucht sie die Kontrolle über die Situation zurückzugewinnen, geht aufs Klo und masturbiert. Sie kommt anschließend nicht mehr zur Arbeit, ist angewidert, traumatisiert. Das Schweigegeld, das der Anwalt ihr schickt, nimmt sie an. Und als sich am Ende die Presse meldet, weil ihr Peiniger das Bürgermeisteramt anstrebt und es gewisse Gerüchte über ihn gibt, geht sie einem Gespräch aus dem Weg.

Die literarische Qualität dieser Short Story lässt sich am besten zeigen, wenn man sie mit Shainbergs Verfilmung vergleicht, die Mary Gaistkill nicht zu unrecht als viel zu charmante »Pretty Woman«-Variante abgetan hat. Shainberg und seine Drehbuchautorin Erin Cressida Wilson machen eine romantische BDSM-Liebeskomödie daraus. Alles passiert hier einvernehmlich, und am Ende wird geheiratet. Bussi!

Gaitskills Geschichte ist viel radikaler, weil hier all das Widersprüchliche, Ungereimte, Unverständliche sexueller Gewalt zur Sprache kommt. Hier herrscht eine wirre Gemengelage aus Pflichtbewusstsein, familiärem Druck, Lethargie, Einsamkeit, Scham, narzistischem Stolz, sexueller Neugier und wohl auch masochistischer Disposition. Das ist Gaitskills zutiefst ambivalenter Subtext. Man wird in eine semantische Offenheit entlassen, die man aushalten muss und die noch dazu entlarvende Wirkung zeitigt: Man überführt sich nämlich selbst dabei, wie man ihr eine Teilschuld übertragen möchte. Das ist genau die Erfahrung, die Frauen so oft machen, wenn sie den Mut aufbringen, über männliche Gewalt zu sprechen.

Drei Jahrzehnte vor der MeToo-Debatte haben diese Storys für viele Leserinnen offenbar eine ähnliche Funktion erfüllt. Ihre Protagonistinnen besitzen eine kaltschnäuzige Standhaftigkeit, sich von der männlichen Macht nicht brechen zu lassen, die ihnen Dignität verleiht und sie zu Identifikationsfiguren eines neuen weiblichen Selbstbewusstseins macht. Dafür müssen sie nicht einmal sympathische Charaktere sein. Sie haben alle ihre Schwächen, sind bisweilen selbstgerecht oder neurotisch. Echte Menschen also. Diese Erzählungen kommen ohne Megafon und Spruchbänder aus und vermessen mit großer Kunstfertigkeit das polymorph perverse Universum menschlicher Beziehungen.

Mary Gaitskill: Bad Behavior. Schlechter Umgang. Storys. A. d. Amerik.v. Nikolaus Hansen. Mit einem Nachwort von Kristen Roupenian. Blumenbar. 270 S., geb., 20 €.

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