Suppegewordener Hohn

Deutsche Supermärkte im internationalen Vergleich sowie im Selbstversuch.

Man bewegt sich ja praktisch ausschließlich nur noch in Supermärkten. Supermärkte ersetzen Marktplatz, Kirche, Café, Kneipe; Supermärkte bieten das Gefühl, an Normalität teilzunehmen, aber auch Abstecher in die »feine Welt« (Rewe) bzw. die »Elite« (Penny) zu machen. In Discountern erfreut man sich am Wildwuchs der Wühltische, in den Biomärkten staunt man darüber, mit welcher Entschlossenheit vormals köstliche Speisen durch die Beimischung von Dinkelmehl ungenießbar gemacht werden können. Gleichzeitig ist der deutsche Supermarkt ja so super mal nicht, eher unteres Mittelfeld; im internationalen Vergleich versagt er auf zahlreichen Ebenen. Kann man in französischen Supermärkten ganz selbstverständlich Wild und frische Torten erwerben, bieten amerikanische Supermärkte zum tagelangen Verweilen bestimmte Erlebniswelten, in denen neben zentnerschweren Cornflakes-Packungen auch Waffen, Medikamente und lebende Tiere feilgeboten werden. In fast allen Ländern der Welt kann man im Supermarkt wohlschmeckende und hochwertige Fertiggerichte kaufen; in Deutschland bekommt man irgendwelche Fleischabfälle in widerlichen Tunken serviert oder aber extrem fragwürdige, mit Analogkäse überbackene Grauteigprodukte, die nicht einmal mehr optisch an Brot erinnern.

Wo die ganze Welt ein Supermarkt wird, kann man sich auch mal fragen, ob man diese Welt nicht wenigstens ein bisschen mitgestalten kann. Vor einer Weile entdeckte ich den Bereich »Suppe« im Rewe-Schnellkostregal. Neben den üblichen Fleischabfällen stach mir eine bemerkenswerte Innovation ins Auge: eine »Parmesansuppe«, unter dem Label »Lenas Küche« von einer Hamburg Gourmet GmbH vertrieben. Zwei Dinge waren mir augenblicklich klar: 1) Ich muss diese Suppe sofort probieren, in der öden deutschen Supermarktwelt muss jedes Experiment belohnt werden. 2) Sie werden sie in wenigen Wochen aus dem Sortiment nehmen, die Deutschen hassen jede Innovation und jedes Gericht, das man nicht auch im Zweiten Weltkrieg hätte kochen können. In der Tat, die Suppe schmeckte hervorragend, leicht pikant, samtweich, duftend; noch köstlicher freilich in der absoluten Gewissheit, dass sie bald nicht erhältlich sein sollte, ein flüchtiges und darum noch potenziertes Vergnügen.

Doch mit dieser Unvermeidlichkeit wollte ich mich diesmal nicht abfinden. Wozu leben wir denn im Kapitalismus, dachte ich. Ich kaufte sämtliche Einheiten der gut haltbaren Suppe, wo ich ihrer habhaft wurde, in verschiedenen Filialen. Ich beauftragte Freund*innen, sie für mich zu kaufen, wenn sie sie sehen sollten. Ich nutzte meine Online-Reichweite, rührte auf Facebook die Werbetrommel für die köstliche Suppe, befahl meinen Follower*innen den Kauf. Ich schrieb sogar an info@lenas-kueche.com, die Suppe zu loben und zu preisen. Umsonst! Mein bisschen Marktmacht hatte nicht ausgereicht. Die Parmesansuppe war weg, nur einen Monat später. Ich schrie, ich tobte, ich zerriss meine Kleider. Hilflose Gesten der Verzweiflung, der Ohnmacht gegenüber genormten Bedürfnissen und gestreamlineten Angebotspaletten.

Vor wenigen Wochen hat »Lenas Küche« ein Ersatzprodukt auf den Markt gebracht: Gyrossuppe. Aus einem gewissen Masochismus heraus, aus dem Bedürfnis, meine Demütigung komplett zu machen, kaufte ich sie auch noch. Ich muss nicht sagen, welche Emotionen sich dabei in mir austobten. Sie schmeckte so ähnlich wie die Fertigcurrywurst im Regal nebenan, wie die Chips mit Currywurst-Aroma im Snackbereich, wie der Energydrink »Currywurst Style«, den es leider wirklich gibt. Es war Hohn, suppegewordener Hohn.

Es ist ja nicht so, dass mir alles aus Amerika gefällt. Doch deutsche Supermärkte sind nun mal die schlechtesten der Welt.

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