nd-aktuell.de / 04.04.2021 / Kommentare

Isoliert in Berlin

Ulrike Wagener kritisiert die abendliche Einhaushaltsregel in Berlin

Ulrike Wagener

Ab Dienstag müssen über 1 Million Menschen in Berlin jeden Abend allein bleiben – außer sie sind in einer Beziehung. So viele Ein-Personen-Haushalte gibt es in der Hauptstadt. Zu Weihnachten erklärte der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, noch, den Lebensformen der Stadt Rechnung tragen zu wollen. Zu Weihnachten durften sich daher fünf Menschen treffen, unabhängig von Verwandtschaftsgrad und Beziehungsstatus. Ein Vierteljahr später scheint das nun vergessen.

Die Fallzahlen steigen erneut exponentiell und es ist notwendig, dem schnell wirksame Maßnahmen entgegen zu stellen. Menschen dazu zu zwingen, abends alleine zu bleiben, gehört eher nicht dazu. Ob die Regelung vor dem Berliner Antidiskriminierungsgesetz standhält, ist eine andere Frage. Denn das verbietet auch die Diskriminierung aufgrund des sozialen Status.

Nach der neuen Regelung muss ein Haushalt zwischen 21 und 5 Uhr »unter sich« bleiben. Eine Ausnahme gilt für Ehe-, Lebens- und Sorgepartnerschaften. Das ist auch gut so, doch müsste es solch eine legale Ausnahme auch für Menschen ohne Beziehungsstatus geben - möglich wäre die Beschränkung auf eine feste Person. Vielen Berufstätigen sind Treffen nur am Abend möglich.

Für die Verbreitung des Virus spielt es keine Rolle, ob sich eine Person mit einem weiteren Haushalt um 15 Uhr trifft oder um 21 Uhr. Für die Menschen spielt es aber sehr wohl eine Rolle, wenn nun nach einem einsamen Homeoffice-Tag oder einer anstrengenden Schicht an der Supermarktkasse gar kein sozialer Austausch mehr stattfinden kann.

Der viel zitierte Gesundheitsexperte der SPD, Karl Lauterbach, sagte 2019 in einem Interview mit dem ZDF, dass Einsamkeit direkt die Immunlage des Körpers schwächen könne und somit den Körper empfänglicher für viele schwere chronische Erkrankungen mache. »Einsamkeit ist ein sehr großer Risikofaktor, der in der Dimension vergleichbar ist mit starkem Übergewicht oder mit starkem Rauchen«, so Lauterbach. So könnte diese Regelung mitten in der Pandemie weitere gesundheitliche Krisen befördern.

Dass das Spazierengehen im Dunkeln mit einer weiteren Person erlaubt bleibt, ist nur ein schwacher Trost. Denn wer in einer Beziehung ist, darf sich weiterhin einen schönen Abend machen – auch über den eigenen Haushalt hinaus.