Kurzes Shopping-Glück

In Weimar wurden die Geschäfte nach drei Tagen Öffnung wieder geschlossen

  • Sebastian Haak, Weimar
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Frühlingssonne lacht, doch im Zentrum von Weimar sind nur wenige Menschen unterwegs. Dabei lief in der thüringischen Stadt letzte Woche ein auf drei Tage angelegtes Modellprojekt, in dessen Rahmen der Einzelhandel öffnen durfte. Zutritt zu den Geschäften hatte, wer einen tagesaktuellen negativen Corona-Schnelltest vorlegen konnte. Die Hoffnung war groß, dass so ein Weg aufgezeigt werden könnte, um Shoppen in Corona-Zeiten zu ermöglichen; nicht zuletzt, um den Inhabern kleiner Läden eine Perspektive zu bieten.

Doch am letzten Tag des »Versuchs« bildeten sich nur vor wenigen Geschäften kurze Warteschlangen von zwei, drei Leuten. Manche Inhaber saßen selbst in der Sonne und warteten auf Kundschaft. Auskömmlichen Umsatz machten sie nicht. In den nächsten Tagen wird genügend Zeit sein auszuwerten, warum die Resonanz so verhalten war.

Unabhängig davon ist ohnehin nicht zu erwarten, dass die Einzelhändler oder gar die Außenbereiche der Cafés und Restaurants in Thüringen in Kürze wieder ihre Türen für Negativ-Getestete werden öffnen können. Die Fallzahlen sind dafür im Freistaat viel zu hoch. Darüber hinaus mangelt es in zu vielen Gesundheitsämtern noch immer an der richtigen Software. Derzeit nutzten nach Angaben des Thüringer Gesundheitsministeriums nur 13 von 22 Gesundheitsämtern im Land die Software Sormas »aktiv«. Ohne ihren Einsatz aber ist keine vernünftige Kontaktnachverfolgung möglich. Dabei wird seit Monaten darüber gesprochen, dass bundesweit alle Gesundheitsämter die Software einsetzen sollen. Doch manche Kommunen weigern sich, auf Sormas umzusteigen. Gesundheitsministerin Heike Werner (Linke) sagt, diejenigen Gesundheitsämter, die Sormas noch nicht eingeführt hätten, begründeten dies vor allem mit der hohen Arbeitsbelastung infolge der Coronakrise: »Die Unterbrechung etablierter Arbeitsabläufe in Zeiten sehr hohen Arbeitsaufkommens wird kritisch gesehen.«

Der IT-Beauftragte der Landesregierung und Thüringer Finanzstaatssekretär, Hartmut Schubert, mahnt, die Mitarbeiter in den Ämtern müssten sich ein wenig umstellen, wenn sie statt der eingespielten Verfahren nun Sormas nutzen sollten. »Das ist kein Hexenwerk, das kann und muss einfach gelingen«, sagt er. Schubert kann sich inzwischen auch vorstellen, die Kommunen per Erlass zur Nutzung der Software zu verpflichten. So weit will man im Gesundheitsministerium aber nicht gehen, macht eine Sprecherin deutlich.

Eine weitergehende Öffnung von Läden und Restaurants wird erst wahrscheinlicher, wenn die Menschen Apps nutzen können, die eine Anbindung an Sormas haben und bei denen gleichzeitig der Datenschutz gewährleistet ist. Diesbezüglich hält auch die Luca-App, die in Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow einen Fan gefunden hat und die während der drei Einkaufstage von Weimar eingesetzt wurde, nicht, was sie verspricht.

Obwohl Luca es in ausgezeichneter Weise verstanden hat, Werbung für sich zu machen, hat nicht nur die Thüringer Grüne-Netzpolitikerin Madeleine Henfling grundsätzliche Bedenken gegen die App. Solange der Quellcode der App nicht frei zugänglich und von IT-Spezialisten gründlich überprüft worden sei, könne man unmöglich sagen, ob die App wirklich sicher sei, sagt sie. Dies wiege umso schwerer, weil im Netz bereits Hinweise aufgetaucht seien, dass die App fundamentale Grundregeln des Datenschutzes verletze. »Wenn wir wegen so was bald wieder einen Datenskandal haben, dann ist das Geschrei wieder groß und das Vertrauen in alle Apps zur Kontaktverfolgung schwer beschädigt«, befürchtet deshalb Henfling.

Wie Schubert spricht sich Henfling dafür aus, dass man zur Kontaktnachverfolgung nicht nur auf Luca setzt. Neben anderen Programmen, die auf dem Markt erhältlich seien, solle man auch auf die Corona-Warn-App setzen, die in den nächsten Tagen um eine Funktion zur Kontaktnachverfolgung erweitert werden soll. »Die hat immerhin auch schon 26 Millionen Nutzer«, sagt Henfling. Außerdem sei die Corona-Warn-App mit ihrem dezentralen Umgang mit Daten schon strukturell wesentlich datensicherer als Luca.

Schubert stört sich zudem daran, dass Lucas Geschäftsmodell aus seiner Sicht darauf ausgelegt ist, »sich über die öffentliche Hand zu finanzieren«. Denn damit Behörden mit Hilfe von Sormas auf die Daten von Luca zugreifen könnten, müssten sie Lizenzgebühren an die Entwickler zahlen. Eine sechsstellige Summe, schätzt Schubert, würde deren thüringenweiter Einsatz den Freistaat kosten. »Damit haben wir ein Problem«, sagt er. Immerhin finanzierten sich andere Anbieter auf dem Markt maßgeblich über die Privatwirtschaft. Deshalb sagt Schubert neben dem kurzen Satz zum Zentralstaat noch diesen prägnanten Satz: »Wir sind nicht gegen Luca, aber wir sind für Vielfalt.« Was nach allen Erfahrungen der vergangenen Corona-Monate allerdings auch fast zwangsläufig zu Verzögerungen führen wird. Denn in der Pandemie hat Vielfalt bislang immer langsam gemacht.

Alles in allem also ist es noch ein weiter Weg vom Shopping-Modell von Weimar bis zum flächendeckenden Wiedershoppen in Thüringen in Corona-Zeiten. Während die Einkäufer von Weimar durch die Läden streifen und durch die Innenstadt flanieren, sagt Henfling deshalb diesen einprägsamen Satz: »Man muss die Erwartungshaltung wirklich mal runter schrauben.«

Wobei das freilich fürs große Ganze, nicht aber für jeden Einzelnen gilt. Denn manchen hat das Shoppen von Weimar ganz offensichtlich glücklich gemacht: Ebenfalls am Mittwoch stehen vor einem Geschäft für Ringe zwei junge Menschen und suchen sich ihre Hochzeitsringe aus. Sie jedenfalls könnten in diesem Moment glücklicher nicht sein.

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