Sofagate ist das kleinste Problem

Viel schlimmer ist, dass die EU in ihrer ambivalenten Beziehung zur Türkei wirtschaftliche Interessen über alles stellt, findet Julia Trippo.

  • Julia Trippo
  • Lesedauer: 2 Min.

Ursula von der Leyen wirkt sichtlich irritiert, nein, vielmehr empört, als der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und EU-Ratspräsident Charles Michel auf den beiden Sesseln zum Fototermin Platz nehmen. Ein Affront gegen die Christdemokratin, die sich auf das Sofa setzt. Denn für solche Fälle gibt es strenge, diplomatische Protokolle. Als Erdogan 2015 Michels und von der Leyens Vorgänger, Donald Tusk und Jean-Claude Juncker in Antalya empfing, gab es für jeden Mann einen Stuhl. Leider lässt Sofagate deshalb darauf schließen, dass von der Leyens Ungleichbehandlung durchaus etwas mit ihrem Geschlecht zu tun hat und unabhängig von ihrem Amt ist.

Doch das eigentliche Problem ist nicht Sofagate, sondern die ambivalente Beziehung zwischen der Türkei und der EU. Denn obwohl sich die EU-Kommissionspräsidentin und der Ratspräsident »besorgt« über die jüngsten Entwicklungen der Türkei bei ihrem Besuch in Ankara zeigten, standen die wirtschaftlichen Interessen beider Seiten im Vordergrund. Trotz deutlicher Kritik an der innenpolitischen Situation des Landes, wurde der Türkei von europäischer Seite eine stärkere wirtschaftliche Zusammenarbeit und finanzielle Unterstützung für die rund vier Millionen syrischen Geflüchteten in der Türkei in Aussicht gestellt.

Sorgen um Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte schienen zu Besuch bei Erdogan einfach nicht so wichtig, wie die Zollunion mit der Türkei. Es wirkt schon etwas absurd: Einerseits werden die derzeitigen antidemokratischen Tendenzen in der Türkei erkannt und kritisiert, andererseits wirtschaftlich einladende Gesten gemacht.

Einen besonders bitteren Nachgeschmack hinterlässt die Tatsache, dass auf gleichstellungspolitischer Ebene medial vor allem das Sofagate Top-Thema war. »Nur ein Sofa für von der Leyen«, titelte etwa die FAZ, »#Sofagate in Ankara: Zwei Stühle und ein Ähm«, schrieb die Tagesschau, »Sofagate in Ankara: Fauxpas? Rache? Machismus?«, fragte EuroTopics. Klar, das war Sexismus auf weltpolitischer Bühne. Doch der eigentliche Skandal sind die fehlenden Konsequenzen für die Türkei nach ihrem kürzlichen Austritt aus der Istanbul-Konvention. Von der Leyen leierte sich lediglich ein Statement aus dem Kreuz, in dem sie den Austritt der Türkei als »falsches Zeichen« kritisierte und, dass »die Europäische Union niemals zögern werde, auf weitere negative Entwicklungen hinzuweisen«. Ein konsequenter Kampf für Menschenrechte sieht anders aus.

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