Superfrauen gegen den Rest der Welt

»The Nevers« ist eine flott inszenierte Sci-Fi-Serie über den weiblichen Kampf gegen das Böse

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 4 Min.

Um Drehbuchautor und Regisseur Joss Whedon, vielen bekannt als Erfinder der unter linken und marxistischen Akademikern so beliebten Kult-Serie »Buffy« (1997–2003), gab es in den vergangenen Monaten reichlich Diskussionen. Der 1964 geborene Whedon, der unter anderem auch das Script für »Alien Resurrection« (1997) schrieb und als Regisseur für Marvel zwei der Avengers-Filme drehte, soll sich gegenüber Schauspielern regelmäßig aggressiv, autoritär und völlig unangemessen verhalten haben. Mittlerweile haben sich Betroffene der vergangenen 20 Jahre über ihn beschwert und Whedon ist aus diversen Filmprojekten ausgestiegen. So auch aus der von HBO aufwendig inszenierten Fantasy- und Science-Fiction-Serie »The Nevers«, die ursprünglich aus Whedons Feder stammt und bei uns auf Sky zu sehen ist. Dabei ist »The Nevers«, ein im viktorianischen London angesiedeltes Steam-Punk-Abenteuer, das wild zwischen den Genregrenzen von Science-Fiction, Fantasy und Horror hin- und herspringt, ganz ähnlich wie die Kult-Serie »Buffy« eine Geschichte über starke Frauen, die sich gegen bornierte Männer und ein rigides Herrschaftssystem erfolgreich zur Wehr setzen.

Ende des 19. Jahrhunderts erzeugt eine Anomalie über London eine Art Lichtregen, die alle davon berührten Menschen verändert und ihnen sehr unterschiedliche, beinahe übernatürliche Fähigkeiten verleiht. Vor allem Frauen sind davon betroffen und gehören zur bald als die »Berührten« bekannten Bevölkerungsgruppe, der mit ebenso viel Argwohn wie Angst begegnet wird. Amalia True, eine äußerst trinkfeste und durchsetzungsfähige Person und ihre Freundin Penance Adair, ihres Zeichens progressive Erfinderin eigenartiger Apparaturen aus Messing und Holz, die mit Strom betrieben werden, unterhalten eine Art Waisenhaus, in dem einige der »Berührten« Unterschlupf finden. Die beiden toughen Frauen sind ebenfalls Berührte. Amalia True verfügt über die Fähigkeit, in die Zukunft zu sehen und ihre Freundin kann elektrische Ströme fühlen. Die beiden kämpfen aber nicht nur gegen die alltägliche sexistische und rassistische Ausgrenzung der Waisenhausbewohner, die zum Teil auch People of Color im kolonialen London sind, sondern setzen sich auch gegen eine ominöse Macht zur Wehr, die »Berührte« entführt und brutalen Prozeduren unterzieht, um ihre Kräfte anderweitig einzusetzen.
»The Nevers« schwimmt auf der derzeit recht erfolgreichen Steam-Punk-Welle, einem Sub-Genre der Science-Fiction, das retrofuturistische Apparaturen mit dem viktorianischen Zeitalter, der dazugehörigen Ästhetik, aber auch der damaligen Moral und mitunter sozialen Fragestellungen verknüpft wie auch in »Carnival Row« (Amazon Prime) und dem ab Ende April auf Netflix zu sehenden Fantasy-Spektakel »Shadow and Bone«.

So kämpfen in »The Nevers« streikende Arbeiter um ihre Rechte gegen fiese reaktionäre Fabrikherren, Frauen ringen um gesellschaftlichen Einfluss und im Londoner Untergrund werden ausschweifende Orgien gefeiert, während im Alltag der bürgerlichen Schicht Klassendünkel und Prüderie vorherrschen. Dabei steckt »The Nevers« auch voller Verweise auf andere Filme und Serien. Das Waisenhaus von Amalia True und ihrer Freundin erinnert ein wenig an die Akademie der »X-Men«, und wenn Penance Adair mit einer Messing-Flasche auf den Rücken geschnallt eigenartigen Schaumstoff gegen magische Kräfte aus einer Pistole schießt, wirkt das wie eine skurrile Persiflage auf »Ghostbusters«. Darüber hinaus gibt es hier Straßengangs, Schmuggel, wohlsituierte Herrschaften, die jede Menge Dreck am Stecken haben und die beiden »Berührten« Amalia und Penance, die mit ihrer immer größer werdenden Unterstützerinnen-Gruppe von Frauen mit außergewöhnlichen Fähigkeiten gegen reaktionäre Kräfte und finstere Schurken vorgehen.

Ein Stück weit lässt sich »The Nevers« auch als popkulturelle Allegorie auf die in der Linken schon seit vielen Jahren und in jüngster Zeit sogar im bürgerlichen Lager heiß diskutierten identitätspolitischen Kämpfe lesen.

Die soziale Frage blendet der flott inszenierte Sechsteiler »The Nevers« zwar keineswegs aus, zentral ist sie in dem kämpferischen Spektakel aber nicht gerade. Es geht vielmehr vor allem um das Aufeinandertreffen altbackener männlicher Herrschaftsallüren und progressiver selbstbewusster Frauen. Insofern überzeugt die Serie auch durch ihre großartig dargestellten Charaktere, die fester Bestandteil des science-fiktionalen World-Buildings sind, in dem ab und zu fast so etwas wie eine Poesie des Widerstands aufschimmert. Etwa wenn die Entrechteten aus dem Waisenhaus schließlich versuchen, sich mittels eines im Park gesungenen Liedes, das mit einem gerade von Penance neu erfundenen Verstärker in ganz London zu hören ist, mit anderen »Berührten« zusammenzuschließen. Und auch wenn es immer wieder Rückschläge gibt, der Kampf geht einfach weiter.

»The Nevers« ab 12.4. auf Sky

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