Frankreich streitet um Gotteshaus

Polemik um Finanzierung des Moscheebaus in Straßburg. Türkei strebt nach politisch-religiösem Einfluss

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

Dass die Stadt Straßburg, die seit der letzten Kommunalwahl Mitte 2020 von den Grünen regiert wird, den Bau einer Moschee finanziell fördert, hat die Besorgnisse über die massive Einflussnahme der Türkei auf die französischen Muslime neu belebt. Die im Bau befindliche Moschee Eyyub Sultan mit ihrem 36 Meter hohen Minarett soll einmal 2500 Gläubige aufnehmen und wird damit die größte Moschee Europas sein. Doch der 2017 begonnene Bau, der ursprünglich 17 Millionen Euro kosten sollte, musste mehrfach unterbrochen werden, weil die Kosten aus dem Ruder liefen und sich die benötigte Summe inzwischen bis auf 32 Millionen Euro fast verdoppelt hat.

In dieser Situation sprang nach der Region Grand Est jetzt auch die Stadt Straßburg ein und bewilligte einen Zuschuss von 2,5 Millionen Euro. Damit wird die gesetzliche Höchstgrenze für die Subventionierung privater Projekte von maximal zehn Prozent der Gesamtbaukosten nicht überschritten. Doch die Bedenken, die das geweckt hat, sind nicht finanzieller, sondern politischer Art. Innenminister Gérard Darmanin, der auch für die Beziehungen des Staates zu den Religionsgemeinschaften zuständig ist, hat den Beschluss der grünen Stadtratsmehrheit in Straßburg scharf kritisiert und daran erinnert, dass das Gesetz über die Trennung von Kirche und Staat von 1905 die Finanzierung der Religionsgemeinschaften mit öffentlichen Geldern verbietet.

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Was er dabei unberücksichtigt ließ, ist ein rechtlicher Sonderstatus: Denn nach dem preußisch-französischen Krieg von 1870/71 und bis zum Versailler Vertrag von 1919 gehörten Elsass und Lothringen zu Deutschland, und das 1905 in Frankreich erlassene Gesetz erstreckt sich auf diese Gebiete somit nicht. Damit gilt hier noch ein 1801 von Napoleon mit Papst Pius VII. ausgehandeltes Konkordat. Das jedoch sieht ausdrücklich öffentliche Finanzhilfe vor, so dass hier heute beispielsweise die katholischen Geistlichen - gerechterweise aber auch die protestantischen und jüdischen - wie Beamte vom Staat besoldet werden.

Das aktuelle Problem ist die Trägerin des Moscheenbauprojekts, die Organisation Milli Görüs. Sie wurde Anfang der 1970er Jahre vom ehemaligen türkischen Premierminister Necmettin Erbakan gegründet, um im Ausland und ganz besonders in den Ländern der Europäischen Union politisch-religiösen Einfluss zu erlangen und für die türkischen Interessen zu nutzen. Entsprechend wird Milli Görüs in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet. In Frankreich engagiert sich die Organisation gegenwärtig im Sinne der aggressiven Macron-feindlichen Politik und Propaganda des türkischen Präsidenten Erdogan und wirft der Regierung demagogisch Islamophobie vor. Als für ihre neue Moschee in Straßburg 2017 der Grundstein gelegt wurde, nahm an der Zeremonie demonstrativ ein Mitglied der türkischen Regierung teil und trotz des undurchsichtigen Finanzierungskonzepts für den Bau ist das Innenministerium überzeugt, dass der Großteil der Gelder nicht wie behauptet aus Spenden stammt, sondern direkt oder indirekt von der türkischen Regierung kommt.

Von den auf vier Millionen geschätzten Muslimen Frankreichs gehören 150 000 Milli Görüs an. Sie ist eine der neun Organisationen, die den Rat der Muslime Frankreichs bilden. Er ist der wichtigste Ansprechpartner für die Regierung, wenn es um den Islam und die Muslime in Frankreich geht. Von diesem Gremium wurde seit den Terroranschlägen von 2015 immer wieder und zuletzt nach dem Mord an dem Lehrer Samuel Paty im vergangenen Oktober gefordert, endlich ein klares Bekenntnis gegen die Politisierung des Islam und den radikalen Islamismus sowie für die Werte der Republik abzugeben. Daraufhin hat der Rat im vergangenen Herbst eine Charta mit einem solchen Bekenntnis ausgearbeitet, doch es war innerhalb des Gremiums sehr umstritten und wurde letztlich nur von fünf der neun Mitgliedsorganisationen unterzeichnet.

Angeführt durch Milli Görüs, haben die anderen Organisationen jetzt unter Hinweis auf die von der Verfassung garantierte Glaubensfreiheit die »Einmischung des Staates« in die Belange der Muslime angeprangert und eine »Überarbeitung und Neuformulierung« der Charta gefordert. Sie drohen, andernfalls würden sie den Rat verlassen und in Konkurrenz zu ihm ein eigenes Gremium bilden. Das erklärten sie auf einer Pressekonferenz, die sie demonstrativ im Rohbau der Moschee Eyyub Sultan in Straßburg abhielten.

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