Linke will radikal abrüsten

Diskussion über das Wahlprogramm wird vom Streit über die Thesen von Sahra Wagenknecht überschattet

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist ein umfangreiches Programm für die Bundestagswahl im Herbst, das Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler am Montagnachmittag bei einer Pressekonferenz vor sich auf dem Tisch liegen hatten. Das 147 Seiten umfassende Papier war bei einer Sitzung des Linke-Parteivorstands am Wochenende diskutiert worden. Nach Angaben von Teilnehmenden gab es zahlreiche Änderungsanträge von Mitgliedern des Vorstands zum Text der beiden Parteivorsitzenden. Die meisten wurden eingearbeitet oder teilweise übernommen.

Im Zentrum des Programmentwurfs steht einmal mehr die soziale Gerechtigkeit. Die Linkspartei will nicht nur, dass sich die Situation von Erwerbslosen verbessert, sondern auch für diejenigen, die derzeit niedrige Löhne erhalten. Bei der Präsentation des Papiers im Berliner Karl-Liebknecht-Haus erklärte Wissler, dass der Mindestlohn auf 13 Euro angehoben werden sollte. »Wir wollen außerdem die Ausnahmen beim Mindestlohn und die sachgrundlose Befristung von Verträgen abschaffen. Leiharbeit muss verboten werden«, sagte die Parteichefin.

Ökosozialer Umbau

Ihre Ko-Vorsitzende Hennig-Wellsow betonte, dass die Linkspartei im Wahlkampf auch die Situation in den ostdeutschen Bundesländern in den Fokus nehmen werde. Auch dort müssten bessere Löhne gezahlt werden. »Wir streiten für Tariftreue und Vergabemindestlohn«, sagte Hennig-Wellsow, die aus dem Thüringer Landesverband kommt und dort Landes- und Fraktionsvorsitzende war.

In weiteren Kapiteln des Programmentwurfs wird ein »ökosozialer Umbau« gefordert. Finanziert werden soll dieser durch mehr Umverteilung. Die Linkspartei will höhere Einkommen und Vermögen stärker besteuern. Einsparpotenziale sieht sie hingegen bei der Armee. »Wir wollen jedes Jahr zehn Prozent beim Rüstungshaushalt kürzen«, verkündete Wissler. Deutschland müsse eine friedliche Rolle in der Welt spielen. Bisherige Einsätze der Bundeswehr sollten beendet und keine neuen beschlossen werden.

Das Thema Militär gilt als Knackpunkt für mögliche Verhandlungen mit SPD und Grünen über ein gemeinsames Bündnis nach der Wahl, wenn die drei Parteien eine gemeinsame Mehrheit haben sollten. Wissler sah bei den beiden möglichen Partnerparteien zumindest positive Entwicklungen. »Die Grünen haben im Bundestag mehrheitlich gegen eine Verlängerung des Afghanistan-Mandats der Bundeswehr gestimmt. Und in der SPD gibt es Widerstände gegen den Einsatz bewaffneter Drohnen«, konstatierte die Linksparteichefin. Allerdings machte sie auch deutlich, dass das für sie noch nicht reicht. »Wir wollen Bundeswehreinsätze beenden und daran halten wird fest«, erklärte Wissler. Ihre Genossin Hennig-Wellsow gab jedoch zu bedenken, dass dieses Ziel nur in einem Prozess erreicht werden könne. »Die Soldaten werden nicht von heute auf morgen aus den Einsätzen zurückgeholt«, sagte sie.

Auf der Vorstandssitzung wurde auch über die frühere Fraktionschefin im Bundestag, Sahra Wagenknecht, diskutiert, die am Wochenende auf den ersten Platz der Landesliste in Nordrhein-Westfalen für die Bundestagswahl gewählt wurde. In ihrem Landesverband hat Wagenknecht viele Unterstützer. Im Bundesvorstand sieht es anders aus. Bei den Vorstandswahlen im Februar hatten etwa der Gewerkschafter Ralf Krämer von der Sozialistischen Linken und Harald Grünberg von Cuba Si, zwei Mitstreiter von Wagenknecht, Abstimmungsniederlagen hinnehmen müssen. Stattdessen dominieren im Vorstand nun Politiker, die sich der Bewegungslinken zurechnen. Wie die künftigen Kräfteverhältnisse in der Fraktion sind, wird sich nach der Bundestagswahl zeigen.

Demnächst erscheint Wagenknechts Buch »Die Selbstgerechten«. Dies hat zu viel Kritik in der Partei geführt, weil Wagenknecht in dem Buch unter anderem ihre Abneigung gegenüber »Identitätspolitik« äußert. Ihr wird intern vorgeworfen, die Programmatik der eigenen Partei infrage zu stellen.

Gespalten und perspektivlos. Sebastian Weiermann glaubt nicht, dass sich die Linkspartei in Nordrhein-Westfalen von den Debatten um Sahra Wagenknecht schnell erholt

Nach Angaben des Vorstandsmitglieds Thies Gleiss von der Antikapitalistischen Linken nahm der Vorstand einen Resolutionsantrag von Raul Zelik zu dem Thema mit großer Mehrheit an, nachdem er in einigen Punkten abgeschwächt wurde. Darin heißt es, dass die Linkspartei kompromisslos an der Seite all derjenigen stehe, die Benachteiligung, Diskriminierung und Unterdrückung erfahren hätten. »Sie kämpft mit Gewerkschaften, ökologischen, feministischen und antirassistischen Bewegungen für ein gutes Leben für alle.« In diesem Sinne »unterzeichnen wir als Linkspartei den Aufruf von Unteilbar ›Freiheit geht nur solidarisch‹ und rufen unsere Mitglieder dazu auf, dem Aufruf als Einzelpersonen beizutreten«.

Sahra Wagenknecht hatte sich kritisch zu Demonstrationen von Unteilbar geäußert, die dagegen von der Parteiführung ausdrücklich unterstützt wurden. Wagenknecht hatte es zwar begrüßt, dass Menschen gegen Rassismus und die Rechtsentwicklung auf die Straße gehen, teilt aber nicht die Position, dass es offene Grenzen für alle geben sollte. Dabei wurde diese Forderung in einem Aufruf zur Demonstration gar nicht erhoben.

Janine Wissler sagte vor den Journalisten, dass sie das Buch von Wagenknecht noch nicht gelesen habe. Sie gehe aber davon aus, dass alle Personen, die bei Wahlen für die Linkspartei antreten, das auf der Basis des Wahlprogramms tun werden. Über den Entwurf für dieses Programm wird nun weiter diskutiert. Es soll auf einem Bundesparteitag im Juni verabschiedet werden.

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