Das Problem sind Sie, Herr Fleischhauer

Wer auf Augenhöhe mit marginalisierten Menschen sprechen möchte, muss seine Privilegien reflektieren

Im Februar begann der Podcast »Die falschen Fragen« mit dem konservativen Kolumnisten Jan Fleischhauer und der Journalistin Esra Karakaya. Er wurde vom dahinterstehenden Magazin »Focus« als Gespräch auf Augenhöhe zwischen zwei Menschen mit ganz unterschiedlichen Lebensrealitäten beworben. Karakaya ist nach zwei Folgen ausgestiegen, »Focus« holte die Aktivistin und Podcasterin Phenix Kühnert an Bord. Der Ausstieg von Kühnert erfolgte allerdings gleich nach der ersten gemeinsamen Folge. Woran liegt das?

Respekt und Augenhöhe sei die Grundlage des Podcasts, so Fleischhauer. Das ist ein schöner Anspruch, allerdings kommen Respekt und Augenhöhe nicht von alleine zustande, einfach nur weil man sie angekündigt hat – die muss man aktiv gewährleisten. Fehlende Gleichberechtigung kann »Debatten« zu gewaltvollen Erfahrungen machen, wenn man nicht aufpasst. Macht muss mit Verantwortung einhergehen.

Sibel Schick
Sibel Schick ist Autorin und Journalistin. Sie wurde 1985 in der Türkei geboren und zog 2009 nach Deutschland. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »In schlechter Gesellschaft«.

Esra Karakaya ist nach eigenen Angaben aus Zeitmangel frühzeitig ausgestiegen. In seiner »Focus«-Kolumne spekuliert Fleischhauer, dass der wahre Grund ein anderer sein könne: Er schreibt, dass »die Community« Karakayas außer sich sei, über die Zusammenarbeit und suggeriert, dass die Weiterarbeit für Karakaya gravierende Auswirkungen hätte.

Um zu verstehen, warum Kühnert aufgehört hat, muss man sich die dritte Podcast-Folge anhören: Fleischhauer misgendert Kühnert, spricht also mit dem falschen Pronomen über sie. Als sie ihn korrigiert, sagt er »interessant«, als handele es sich um eine spannende Hirngymnastik. Und dann relativiert er das durch Vergleiche mit anderen transfeindlichen Beispielen, die angeblich schlimmer seien. Eine aufrichtige Entschuldigung bleibt aus. Für diese verletzende Erfahrung brauchen transgeschlechtliche Menschen keinen Podcast.

Wer mit marginalisierten Menschen sprechen möchte, muss, so wie Fleischhauer mehrfach abwertend sagt, seine Privilegien reflektieren. Der Sinn darin ist herauszufinden, wo unten und oben in einer Gesellschaft ist und wo man selber steht. Ohne diese Auseinandersetzung findet kein Austausch auf Augenhöhe statt, sondern nur eine Reproduktion gewaltvoller Missstände.

»Ich glaube inzwischen, dass es nicht um Austausch geht, auch nicht um Sichtbarkeit im öffentlichen Diskurs, sondern um Monolog«, jammert Fleischhauer in seiner Kolumne und inszeniert sich als Opfer. Er scheint das Problem nicht begriffen zu haben: Sein Podcast will weder Austausch noch Sichtbarkeit für die Unsichtbaren, er will bloß Bestehendes reproduzieren. Fleischhauer verkörpert in der Zusammenstellung nämlich die Norm, die großzügig eine für marginalisierte Gruppen geschlossene Tür öffnet – es geht um Selbstinszenierung. Diese müssen das Angebot dankbar annehmen, egal wie daneben er sich verhält. Sonst wird ihnen vorgeworfen, Monologe halten zu wollen.

Wie hätte »Focus« das richtig machen können? Ganz einfach: Karakaya und Kühnert jeweils einen Kolumnenplatz oder einen eigenen Podcast bieten und das nicht in leuchtenden Lettern, mit Pfaufedern und »orientalischer« Musik ankündigen, sondern genauso seriös wie sie es gemacht hätten, wenn Karakaya und Kühnert weiß beziehungsweise cis wären. Menschen nicht wie eine Abweichung oder Anomalie behandeln, sondern wie Personen.

Das Unerträglichste in dieser gesamten Shitshow ist vermutlich das Ende der Kolumne von Fleischhauer: Er schreibt, dass das Verhalten marginalisierter Menschen an autoritäre Systeme erinnere und setzt sie dann noch in einen rechtsradikalen Kontext. Vom Anfang bis zum Ende werden bereits bestehende gewaltvolle Machtverhältnisse reproduziert. Gegen so was müssen wir uns wehren, denn es ist gefährlich. Menschen wie Fleischhauer erwecken in ihren Texten den Eindruck, sie fänden Rechtsextreme nicht so schlimm. Dass Konservative und Liberale den Nazis als Türöffner dienen können, wissen wir bereits von der Ministerpräsident*innenwahl in Thüringen 2020 und Beschlüssen in Plauen, die durch Mehrheiten aus CDU, AfD und dem »III. Weg« zustande kamen.

Von Nazis betroffen sind Menschen wie Esra Karakaya und Phenix Kühnert. Sie mit Nazis gleichzusetzen, auch noch aus dem einfachen Grund, dass sie vermutlich keinen Bock auf Fleischhauer haben, ist nicht nur extrem egoman, sondern dämonisiert sie, legitimiert die Gewalt, der sie ausgesetzt werden, und kehrt die wahren Machtverhältnisse um.

Wer die Verantwortung bei jedem Preis bei anderen sucht, wächst nicht. Das mag wie ein individuelles Problem scheinen, ist aber symptomatisch für die deutsche Medien- und Politiklandschaft und hat mit hegemonialen Ansprüchen zu tun. Um diesen Missstand sichtbar zu machen, verschwenden marginalisierte Menschen ihre Lebenszeit, obwohl ihnen immer wieder vorgeworfen wird, dass sie das Problem seien. Aus Opfern Täter*innen zu machen ist ein wichtiges Zahnrad dieses zerstörerischen Systems. Daher möchte ich Herrn Fleischhauer fürs nächste Mal mitgeben: Kurz innehalten und reflektieren. Und sich erinnern: Das Problem sind Sie.

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