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Leben auf dem Bauwagenplatz

In Hamburg schaffen sich Rollheimer seit fast 30 Jahren ein urbanes Zuhause - eine Reportage.

  • Olivier David
  • Lesedauer: 5 Min.

Es ist ein Samstagnachmittag im vom Arbeiterviertel zum Szenekiez transformierten Hamburger Stadtteil Ottensen. Links neben dem Kultur- und Veranstaltungsort »Fabrik« führt ein schlammiger Pfad zum Eingang des Bauwagenplatzes. »Euch die Alster, uns die Elbe« steht auf einem Transparent, das an einem der ersten Wohnwagen angebracht ist. Mit »euch« sind die wohlhabenden Bewohner Deutschlands zweitgrößter Stadt gemeint, die an der Alster, einem aufgestauten Stadtsee im Zentrum Hamburgs wohnen. Im hinteren Teil des Wagenplatzes liegt das »El Dorado«, der Gemeinschaftsraum der Bewohner*innen. Den Eingang ziert ein mehrere Meter hoher Totenkopf, dessen Augen rot funkeln. Im Innern spendet ein Holzofen Wärme, von der Decke guckt ein ausgestopfter Widderkopf herunter. Unter den wachsamen Augen des Widders sitzen Dirk und Gabi, zwei Bewohner*innen des Gaußplatzes und erzählen vom Leben auf dem Wagenplatz. Im Laufe des Gesprächs trommeln Hagelkörner, es ist Ende März, auf das Dach des Gemeinschaftsraums.

In einem Text der »Hamburger Morgenpost« von 1997 heißt es über den Gaußplatz und seine Bewohner*innen: »Die Beamten hatten in der Nacht zum Donnerstag versucht, einen Dealer festzunehmen, der Rauschgift an zwei 13-jährige Kinder verkauft hatte. Die Bewohner hatten sich daraufhin zusammengerottet, die Polizisten angegriffen und in die Flucht geschlagen.« Klingt nach Asterix & Obelix gegen die Römer. Entweder wohnen, oder Halligalli, dazwischen habe man sich entscheiden müssen in dieser Zeit, sagt Dirk. Die Bewohner*innen haben sich entschieden. Heute, fügt Gabi hinzu, sei man ruhiger geworden. »Die wilden Jahre sind vorbei.«

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Leben auf einem Bauwagenplatz, das klingt nach antikapitalistischer Utopie, nach einer Entscheidung für ein Miteinander und damit automatisch auch gegen ein System, das mündige Bürger zu bloßen Konsumenten umgedeutet hat. In der Realität sind die gelebten Träume mancherorts dem Kampf gegen die Verdrängung gewichen: Gegen den Berliner »Köpi-Wagenplatz« läuft aktuell eine Räumungsklage, das Obdachlosencamp in der Rummelsburger Bucht in Berlin-Lichtenberg wurde Anfang Februar in einer blitzartigen Aktion regelrecht plattgewalzt.

Auch in Hamburg kennt man solche Kämpfe: 2002 schlug die Räumung des Bauwagenplatzes »Bambule« bundesweit Wellen, 2004 wurde der Wagenplatz »Wendebecken« im Stadtteil Barmbek geräumt.

Man braucht nicht viel Fantasie, um sich dasselbe Schicksal auch für die Bewohner*innen der Gaußstraße vorzustellen, die hier seit fast dreißig Jahren beheimatet sind. Auf der Rückseite des Platzes wurde erst vor Kurzem das »Flamingo Loft« fertig gestellt, Eigentumswohnungen und Agenturräume für Besserverdienende. Bei einer brach stehenden Fläche neben dem Gaußplatz sei es eine Frage der Zeit, bis ein Bürokomplex in die Lücke gesetzt werde. Dennoch: »Im Moment werden wir wenig bedrängt und haben mit den Nachbarn ein gutes Verhältnis«, sagt Gabi und wünscht sich, dass es dabei bleibt. Wie es konkret um die Wohnsituation der 50 Bewohner*innen bestellt ist, darüber wollen Gabi und Dirk aus Rücksicht auf laufende Verhandlungen nicht reden. Nur so viel: Seit den 2000er-Jahren sind die Mieter*innen grundsätzlich mit gültigen Mietverträgen ausgestattet, die in der Regel zwischen drei bis fünf Jahre gelten.

Die Bezirkspolitik, so empfinden es Gabi, Dirk und ihre Mitbewohner*innen, sei ihnen in den drei Jahrzehnten trotz kleiner Scharmützel grundsätzlich wohlgesonnen, ob aus Imagegründen oder echter Sympathie.

Für alle drei Wagenplätze im Bezirk Altona, den Platz an der Gaußstraße, »Zomia« an der Sternschanze und den Wagenplatz Rondenbarg in Bahrenfeld, gibt es für den Moment eine Perspektive - in einer Stadt, in der jede Baulücke auf dem Prüfstand steht: Der Wagenplatz »Zomia« wurde erst im vergangenen September für fünf Jahre verlängert. Für die Gaußstraße und den Rondenbarg seien die Nutzungsverträge zwar nur bis Ende 2017 befristet gewesen, wie das Bezirksamt Altona auf Anfrage von »nd« mitteilt. Durch die weiterlaufenden Mietzahlungen - sozusagen eine stillschweigende Übereinkunft - stehe man aber in Verhandlung über einen kommenden Mietvertrag.

Das hört sich nach Jahren wohlverdienter Ruhe in eigentlich stürmischen urbanen Zeiten an. »Das Wohnen auf einem Bauwagenplatz ist ja eigentlich schon von Haus aus ein politischer Akt«, sagt Dirk. Viele der Bewohner*innen hätten auf dem Mietenmarkt eher wenig Chancen auf bezahlbaren Wohnraum. Auch bei Gabi und Dirk, die seit knapp dreißig Jahren ein Paar sind, war die Entscheidung, sich mit Gabis Ford Transit auf einen Wagenplatz zu stellen, eher aus der Not geboren, das Politische kam durch die Widrigkeiten, die das Leben ihnen bereit hielt, danach hinzu.

Die ersten Monate standen sie, gemeinsam mit anderen, auf einem Platz unweit der Gaußstraße, doch dann wurde gebaut und der originäre Platz musste geräumt werden. Bei einer Anwohneranhörung stand eine Mitstreiterin der beiden auf und rief: »Wir können uns ja nicht unsichtbar machen, wo sollen wir denn hin?« Daraufhin habe sich das Bezirksamt auf die Suche nach geeigneten Grundstücken gemacht und sei mit dem Gaußplatz fündig geworden - für alle Beteiligten eine gute Alternative. Das Politische ist geblieben, gewissermaßen ist es in den Alltag der Bewohner*innen übergegangen. Seither ist ein Teil von ihnen beim »Bettlermarsch« oder dem »Mietenmove« auf der Straße, andere engagieren sich bei Armenspeisungen.

Nach dem Ford Transit zogen Gabi aus Bad Salzuflen und Dirk aus Gelsenkirchen für die nächsten 16 Jahre in einen acht Quadratmeter großen Bauwagen. Heute haben sie zwei Wagen aneinandergebaut. Bei einem der beiden Wagen ist die Wand rausgenommen worden.

Jetzt leben sie auf siebzehn Quadratmetern, doppelt so viel wie vorher. An beiden Seiten ihres Zuhauses stapeln sich in den Regalen Comics, Bücher und DVDs. Vor den Wagen haben sich die beiden einen überdachten Vorgarten gebaut, der Kühlschrank steht im Freien, der Boden ist mit Kieselsteinen belegt. Ein bisschen Konformität in einem Leben, das der Langeweile des Eigenheimes immer aus dem Weg ging. Die beiden haben sich eingerichtet in ihrem Leben, das eigentlich gar nicht so anders ist, als man es glauben mag, wenn man den Gaußplatz als Fremder betritt. Nur »nachts aufs Klo gehen, durch das Wetter«, das bleibe gewöhnungsbedürftig, sagt Dirk.

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