Diener zweier imperialer Herren

Die Philippinen unter Präsident Duterte stecken in der Zwickmühle zwischen den USA und China

  • Rainer Werning
  • Lesedauer: 5 Min.

In der philippinischen Metropole Manila sorgt in diesen Tagen ein außenpolitisches Thema selbst innerhalb der Regierung unter Präsident Rodrigo R. Duterte für Missstimmung. Letzterer bezeichnet sich selbst gern als enger »Freund Chinas« und er mag es partout nicht, wenn diese Busenfreundschaft angezweifelt oder als Kotau gedeutet wird. Doch ausgerechnet zwei Minister in Dutertes Kabinett, Verteidigungsminister Delfin Lorenzana und Außenminister Teodoro Locsin Jr., nutzten ein zweiwöchiges Abtauchen des Präsidenten, um gegen die ausgedehnte Präsenz chinesischer Schiffe am Whitsun Reef zu protestieren. Unter dem Namen Julian-Felipe-Riff gilt dieses Riff, das zu den Spratly-Inseln im Südchinesischen Meer gehört und nur 175 Seemeilen von der Küste der westlichen Insel Palawan entfernt liegt, als Teil der Ausschließlichen Wirtschaftszone der Philippinen. Manila benannte das Südchinesische Meer im Herbst 2012 offiziell in Westphilippinisches Meer um.

Letzten Monat wurden über 200 Schiffe der volkschinesischen Seemiliz im Gebiet des Julian-Felipe-Riffs gesichtet, woraufhin Manila gegen die Anwesenheit der chinesischen Boote innerhalb der ausschließlichen Wirtschaftszone der Philippinen Protest einlegte und Peking aufforderte, die Schiffe abzuziehen. Chinesische Diplomaten erklärten indes, dass die Fischerboote nur Schutz vor rauer See gesucht hätten und keine Milizen an Bord gewesen seien. Verteidigungsminister Lorenzana beharrte auf seiner Kritik und fügte hinzu: »Die fortgesetzte Anwesenheit chinesischer Seemilizen in diesem Gebiet offenbart die Absicht Pekings, Gebiete in der Westphilippinischen See weiter zu besetzen.« Die Chinesen hätten bereits zuvor umstrittene Gebiete wie Panatag Shoal oder Bajo de Masinloc sowie beim Panganiban-Riff besetzt und dabei die philippinische Souveränität und die souveränen Rechte nach internationalem Recht verletzt.

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Bereits am 12. Juli 2016 hatte das Ständige Schiedsgericht in Den Haag mehrere noch unter Präsident Benigno S. Aquino III. (2010-16), Dutertes Vorgänger, eingereichte Klagen im Seedisput mit der Volksrepublik China positiv beschieden. Es kam zu dem Schluss, Chinas historische Rechtsansprüche auf die Seegebiete (im Gegensatz zu Landgebieten und Hoheitsgewässern) innerhalb der sogenannten »Neun-Strich-Linie« seien unbegründet. Das Urteil, pikanterweise wenige Tage nach Dutertes Amtsantritt, wurde von s China und Taiwan abgelehnt und löste in Manila nur gedämpfte Euphorie aus.

Wesentlicher Grund dafür war des Präsidenten Pendelpolitik in Form einer neuen »Achse Manila-Peking-Moskau«. Eine markante Abkehr von der Politik sämtlicher Vorgängerregierungen der Philippinen, die am 4. Juli 1946 von der langjährigen Kolonialmacht USA (1898-1946) in die Unabhängigkeit entlassen worden waren. Nicht nur »als erster Sozialist«, sondern auch »als erster Antiimperialist« wollte Duterte in die Annalen des südostasiatischen Inselstaates eingehen.

Nach fünfjähriger erratischer Amtszeit ist aus dem Präsidenten der großen Worte ein kleiner Liebediener zweier imperialer Herren geworden, dem in einer erst in der vergangenen Woche eingerichteten Online-Petition nahegelegt wird, wegen »ineffizienter Führung« zurückzutreten. In dieser ursprünglich von Medizinern, Krankenhauspersonal, Pädagogen, Anwälten, Kirchenleuten und Jugendorganisationen unterzeichneten Petition heißt es: »In den letzten fünf Jahren haben wir zugesehen, wie Präsident Dutertes Inkompetenz, Brutalität, Korruption und sein Kotau vor ausländischen Mächten die demokratische Regierungsführung, wie wir sie kennen, zerstört hat. Die Covid-19-Pandemie hat sein Versagen in der Führung nur noch vergrößert.«

Im Frühjahr 2016, inmitten des letzten philippinischen Präsidentschaftswahlkampfs, hatte Favorit Duterte in der ihm eigenen Machomanier während einer Pressekonferenz in Manila vollmundig erklärt: »Wenn ich die Wahlen gewinne, werde ich unsere Marine bitten, mich zum nächsten Punkt im Südchinesischen Meer zu bringen, und ich werde dann auf einem Jet-Ski weiterfahren. Wenn ich die Spratly-Inseln erreiche, werde ich dort die philippinische Flagge aufstellen.« Dort werde er den Chinesen klipp und klar sagen: »Wollt ihr ’ne Schlägerei oder ’ne Schießerei?«

Als gerade frischgekürter Präsident wurde Duterte in seinem Tonfall gegenüber der Volksrepublik China von Woche zu Woche zahmer, ja, fast schon devot. Von einem Streit wegen Besitzansprüchen im Südchinesischen Meer wollte er jetzt nichts mehr wissen: »Ich bin ja nicht dämlich; Chinas Feuerkraft ist der unsrigen weit überlegen.« Gemäß dieser Leitlinie richtete er sein künftiges Handeln aus und verkündete im Oktober 2016 im Rahmen eines dreitägigen Staatsbesuchs in Peking eine neue Ära in Gestalt einer engen Beziehung seines Landes zu China auf Kosten der alten Allianz mit den USA. Ja, er erwog sogar die Beendigung der US-Militärpräsenz auf dem Archipel und beschimpfte den damaligen US-Präsidenten Barack Obama als »Hurensohn«.

Aller US-kritischen Rhetorik zum Trotz blieb Duterte - vor allem während der Amtszeit von Donald Trump - aus Sicht Washingtons voll auf Kurs. Ein vertragliches Regelwerk sorgte für die stetige Präsenz von US-Militärpersonal auf Rotationsbasis in Einrichtungen der philippinischen Streitkräfte. Und allein zwischen 2016 und 2019 gewährten die USA Manila 554 Millionen Dollar an Militärhilfe.

Entgegen Dutertes früherer Ankündigung, die regelmäßigen gemeinsamen Militärmanöver »Balikatan« (»Schulter an Schulter«) zu beenden, finden vom 12. bis zum 25. April auch in diesem Jahr wieder Übungen statt. Dazu kommen die traditionelle Ausbildung und das Training hochrangiger Armee- und Polizeioffiziere an Militärakademien und Polizeihochschulen in den USA. Für einen Teil dieser Offiziere und Generäle wird Dutertes China-Politik zunehmend unerträglich.

Dem Präsidenten muss diese Missstimmung bekannt sein. Erstmalig sprach er in seiner allmontäglich ausgestrahlten Rede an die Bevölkerung am 19. April von der Möglichkeit eines Rücktritts, sollten das Militär und die Nationalpolizei nicht länger geschlossen hinter ihm stehen. Außerdem sagte er, dass er bereit sei, Militärschiffe zu schicken, um einen Anspruch auf Öl- und Mineralressourcen im Südchinesischen Meer abzustecken. Ihm sei klar, dass eine Herausforderung Pekings in den umstrittenen Gewässern nur zu Gewalt führen würde. »Wenn wir dorthin gehen, um unsere Zuständigkeit zu behaupten, wird es blutig werden.«

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