Kapital darf Kiez räumen lassen

Kreuzberger Buchhandlung Kisch & Co muss laut Gericht raus aus ihrem Laden

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.
In Saal B 129 des Strafgerichts Moabit finden sonst Terrorprozesse statt. Am Donnerstagmorgen wird jedoch unter starken Sicherheitsvorkehrungen eine simple Räumungsklage verhandelt. Die kleine Kreuzberger Kiezbuchhandlung Kisch & Co soll ihren Laden in der Oranienstraße 25 verlassen. Die Verhandlung dauert nicht mal 20 Minuten, kurze Zeit später später folgt das Urteil: Die luxemburgische Hauseigentümerin Victoria Immo Properties V S.à.r.l. darf räumen lassen. »Wir haben der Räumungsklage stattgegeben«, sagt der Vorsitzende Richter Martin Suilmann. Man sehe keine Möglichkeit, Mietwohnungsrecht anzuwenden. Sobald das schriftliche Urteil vorliegt, kann der Fonds, der sehr wahrscheinlich der Milliardärsfamilie Rausing gehört, Erben des schwedischen Tetrapak-Gründers, den Gerichtsvollzieher mit dem Vollzug beauftragen.

Richter Suilmann begründet die Entscheidung der Zivilkammer mit den Regelungen des Gewerbemietrechts. Der Vertrag von Kisch & Co war im Mai 2020 ohne Verlängerungsoption ausgelaufen. Das ist gang und gäbe bei Gewerbeverträgen, ebenso, dass Mieten sich auch mal verdreifachen. Anwalt Benjamin Hersch hatte argumentiert, dass auf diesen Fall Regelungen des Wohnungsmietrechts anzuwenden seien. Also keine Kündigung ohne triftigen Grund sowie begrenzte Mieterhöhungsmöglichkeiten. Damit waren zuvor bereits andere Gewerbetreibende, wie die mittlerweile geräumte Kiezkneipe »Syndikat« vor Gericht gescheitert. Das Problem sei, so Richter Suilmann, dass der Gesetzgeber »diese Regelungen allerdings ausdrücklich ausgenommen hat«. Das hindere das Gericht, anders zu entscheiden. »Es ist eine Aufgabe der Politik, wenn eine Regelungslücke erkannt wird, tätig zu werden«, so der Richter.

»Wir sehen diese Schutzlücke schon länger und haben bereits letztes Jahr einen Antrag im Bundestag eingebracht, um diese schnell zu schließen«, sagt der Friedrichshain-Kreuzberger Bundestagsabgeordnete Pascal Meiser (Linke) zu »nd«. Er verfolgte den Prozess von der Zuschauerbank. Im Mai soll es eine öffentliche Anhörung zum Antrag der Linksfraktion im Bundestag geben. Das Land Berlin hatte bereits mehrere Bundesratsinitiativen für einen verbesserten Gewerbemietschutz gestartet – ohne Erfolg.
Eigentlich ist es ein stinknormaler Zivilprozess. Die Verlegung in die Hochsicherheitsräume des Strafgerichts begründet der Richter mit der großen öffentlichen Aufmerksamkeit und dem Infektionsschutz. Dabei sind die Anwälte der Gegenseite aus Frankfurt am Main per Video zugeschaltet. Ihr einziger Beitrag zur Verhandlung ist eine kurze Erklärung zu Beginn: »Wir haben kein Mandat für eine gütliche Einigung.« Meiser fordert die Eigentümer auf, dennoch an den Verhandlungstisch zurückzukehren, um »den sozialen Frieden nicht noch weiter zu gefährden«.

Frank Martens, Mitinhaber von Kisch & Co, hält an dem Wunsch fest, im Sommer nächsten Jahres das 25-jährige Jubiläum der Buchhandlung in der Oranienstraße zu feiern. Den Prozess habe er nicht nur für sich geführt, sondern auch, »weil ein ganzes Kunstquartier gefährdet ist«. Die Galerieräume des Kunstvereins NGBK, das Museum der Dinge und viele weitere sind in den Räumen des ehemaligen Gewerbehofs untergekommen. Bei allen laufe der Mietvertrag in den nächsten Monaten oder Jahren aus. »Das Haus wurde für 35,5 Millionen Euro von dem Fonds gekauft. Bei einer Refinanzierung innerhalb von 40 Jahren muss für jeden einzelnen der 4000 Quadratmeter eine Kaltmiete von 40 Euro erzielt werden«, so Martens. Dabei habe der Fonds nur eine Laufzeit von elf Jahren. »Die werden alles entmieten und zwei, drei Alibimieter für 50 bis 60 Euro pro Quadratmeter reinsetzen, auf denen dann eine Bewertung fußt, mit der sie mit Millionengewinn weiterverkaufen werden«, vermutet er.

»Wem gehört die Stadt? Den Menschen, die sie bewohnen und dort leben oder den anonymen Spekulanten in den Steueroasen?«, will Frank Mertens wissen. Er ist mit der Frage nicht alleine. Seit neun Uhr morgens demonstrieren rund 200 Menschen vor dem Gerichtsgebäude gegen die Verdrängung von Kiezgewerbe. Dort zeigte sich auch die Grünen-Bundestagsabgeordnete Canan Bayram. Unter anderem lief auch das vom Duo Stereo Total von Brezel Göring und der mittlerweile verstorbenen Françoise Cactus im letzten Herbst aufgenommene Kisch-&-Co-Protestlied. Am Dienstag wurde bereits in der Kreuzberger Oranienstraße vor dem Buchladen demonstriert.

Die Buchhandlung stand bereits vor einigen Jahren vor dem Aus, nachdem Immobilieninvestor Nicolas Berggruen das Haus gekauft hatte. Es gab damals bereits einen Nachmieter für die Fläche, der nach Bekanntwerden vom Mietvertrag zurücktrat.
Der aktuelle Kampf währt nun schon über ein Jahr, es gab auch Kontaktaufnahmen mit den Tetrapak-Erbinnen. Eine von ihnen, Sigrid Rausing, erklärte jedoch, keinen Einfluss auf den Fonds zu haben.

Im Januar hatten sich auch Kultursenator Klaus Lederer (Linke) und Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) in einem gemeinsamen Brief mit der Bitte »um eine lösungsorientierte Intervention« an die Eigentümer gewandt. Es gab keine Reaktion, wie zuvor bereits auf Schreiben weiterer Politikerinnen und Politiker.

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