Russlands einträgliches Tor zu Südostasien

Ohne Wenn und Aber: Warum Moskaus Militärs bedingungslos die Hand über die Putschregierung in Myanmar halten

  • Birger Schütz
  • Lesedauer: 4 Min.

Landesweite Massenproteste, Soldaten, die mit scharfer Munition und gezielten Kopfschüssen Zivilisten niederstrecken, mindestens 114 tote Regimegegner: Am 27. März, offiziell Gedenktag der Armee, kam es zur bisher blutigsten Eskalation der Proteste gegen die Militärregierung in Myanmar. Der UN-Sonderberichterstatter für das südostasiatische Land, Tom Andrews, bezeichnete das Vorgehen der Junta als »Massenmord«.

Während auf den Straßen massenhaft Menschen starben, besuchte Alexander Fomin in der Hauptstadt Naypyidaw eine prunkvolle Militärparade. In grüner Uniform verfolgte Russlands Vizeverteidigungsminister den Vorbeimarsch von 8000 Soldaten, blickte mit Stolz auf T-72-Panzer und Schützenspähpanzer aus russischer Produktion und schaute mit zusammengekniffenen Augen zu schweren Mig-Jägern und Mi-Haubschraubern auf, die im Tiefflug über den Platz donnerten. Fomin war der höchstrangige ausländische Vertreter bei der Militärschau. China, Indien, Pakistan, Bangladesch, Vietnam, Laos und Thailand entsandten wie üblich nur Militärattachés. Westliche Staaten verzichteten angesichts des Blutbades ganz auf eine Teilnahme. »Wir schätzen die Teilnahme der russischen Militärs«, bedankte sich Putschführer General Min Aung Hlaing anschließend. »Russland und seine Armee sind echte Freunde.« General Fomin revanchierte sich und nannte Myanmar einen »zuverlässigen Verbündeten und strategischen Partner«, so die Nachrichtenagentur Interfax.

Dass sich vor allem hochrangige Militärs um das Verhältnis der weit voneinander entfernten Länder kümmern, ist kein Zufall. Denn Russland ist nach China der zweitwichtigste Waffenlieferant von Myanmar. Nach Angaben des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri lieferte Moskau seit 2008 Waffengüter im Wert von rund 835 Millionen Dollar an den südostasiatischen Staat. Seit den 2000er Jahren erwarb Mynmar unter anderem 30 Trainingsflugzeuge, zehn Mi-24- und Mi-35-Helikopter, acht Petschora-Luftabwehrsysteme und sechs SU-30-Düsenjäger. Mit den russischen Lieferungen will der 55-Millionen-Einwohner-Staat seine einseitige Abhängigkeit vom mächtigen Nachbarn China verringern, von dem es im selben Zeitraum Waffensysteme im Wert von anderthalb Milliarden Dollar bezog.

Auch bei dem umstrittenem Besuch von Alexander Fomin ging es vorrangig um militärische Geschäfte. In Gesprächen mit Juntachef General Min Aung Hlaing verabredete der russische Vizeverteidigungsminister eine weitere Vertiefung der militärischen und militärtechnischen Zusammenarbeit mit dem diplomatisch isolierten Staat. Eine Billigung des blutigen Durchgreifens im Inneren bedeute die Visite aber nicht, erklärte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Man pflege »lange und konstruktive Beziehungen« zu Myanmar. »Das müssen Sie aus dieser Perspektive sehen.«

Wie eng die Kooperation zwischen den Militärs ist, veranschaulicht auch ein Besuch von Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu bei General Min Aung Hlaing Ende Januar. Dieser diente, neben dem Einfädeln eines Deals zur Lieferung russischer Luft-Boden-Raketen, Überwachungsdrohnen und Radar-Equipments, vor allem der Vertiefung der Beziehungen mit General Min Aung Hlaing. Dessen Verhältnis zu Moskau war ohnehin besonders vertraulich: Der burmesische Militär, damals noch Verteidigungsminister der gewählten Regierung, besuchte Russland seit 2013 sechsmal und nahm 2020 an der Parade zum 75. Jahrestag des Sieges über Nazideutschland teil. Bei einem seiner Aufenthalte deutete Hlaing gegenüber russischen Medien an, in die Politik wechseln zu wollen - von einem Coup war allerdings keine Rede. Westliche Diplomaten und Beobachter gehen davon aus, dass Russland von den Umsturzplänen des Generals wusste - und ihm seine Zustimmung signalisiert hatte.

Im vergangenen Jahr richteten beide Länder zudem ein gemeinsames Militärmanöver aus, die russische Marine läuft regelmäßig Häfen in Myanmar an. Seit den 90er Jahren haben mehr als 5000 Militärs und Wissenschaftler aus Myanmar an russischen Militärschulen und Universitäten studiert - so viel wie aus keinem anderen südostasiatischen Land. Moskau belohnte so viel Treue und hielt immer wieder seine Hand über seinen Partner - beispielsweise verhinderte es 2017 mit seinem Veto im UN-Sicherheitsrat eine Verurteilung der Vertreibung der muslimischen Minderheit der Rohingya. Auch einer Verurteilung der Putschgeneräle verweigerte sich Russland in der Uno.

Doch Moskaus Engagement in Myanmar lässt sich nicht allein mit militärischen Interessen und lukrativen Geschäften erklären. Auch geopolitische Motive spielen eine - wenngleich untergeordnete - Rolle. Während Myanmars traditioneller Verbündeter China sich nach dem Putsch in distanzierter Solidarität übt, will Russland mit seiner bedingungslosen Unterstützung der Junta auch verlorenen Einfluss in Südostasien zurückgewinnen. Denn unter Ex-Präsident Boris Jelzin waren die Beziehungen der früheren Supermacht zu Myanmar weitgehend eingeschlafen. Präsident Putin engagiere sich in der Region daher möglicherweise auch, um westlichen Einflüssen entgegenzuwirken, vermutet das Magazin »Irrawady« in einer aktuellen Analyse. »Russland nutzt die Möglichkeit, sich im Zentrum er indopazifischen Region aufzustellen«, so die Zeitung, »auch wenn es dies ständig bestreitet.«

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