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  • Militärputsch in Myanmar

Lebensgefährlicher Protest

In Myanmar wird derzeit auch der Sport als politisches Machtinstrument missbraucht

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 4 Min.

Win Htet Oo will nicht mehr. Oder sollte man besser sagen: Er kann nicht mehr? Sein Leben lang hat der Freistilschwimmer davon geträumt, Olympische Spiele zu erleben. Dabei zu sein bei diesem Fest des Sports, zu dem nur die Besten aller Länder und Disziplinen kommen. Aber nach 20 Jahren, die er auf dieses Ziel hingearbeitet hat, sieht der 26-Jährige keinen Grund mehr: »In der Parade der Nationen werde ich nicht unter der Flagge eines Landes marschieren, die eingeweicht ist im Blut meines Volkes.«

Es ist eine pathetische Art zu sagen: Sofern die Olympischen Spiele in diesem Sommer in Tokio stattfinden, will Win Htet Oo nicht für sein Land starten. Und dies hat nicht etwa mit der dieser Tage üblichen Sorge um Infektionen mit dem Coronavirus zu tun, sondern mit Politik. Er will kein Land vertreten, deren Machthaber Gewalt gegen die eigene Bevölkerung anwenden, um ihre Macht zu sichern. Vor allem dann nicht, so der Schwimmer, wenn die Sportinstitutionen des Landes diese Machthaber stützen.

Anfang Februar putschte sich Myanmars Militär an die Macht, nachdem die Wahlen im November nicht nach dessen Vorstellungen ausgegangen waren. Die Nationale Liga für Demokratie, angeführt von der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, hatte eine erdrückende Mehrheit errungen. Ohne Beweise vorzulegen, sprach das Militär daraufhin von Wahlbetrug. Im Februar, als das neu gewählte Parlament erstmals tagen sollte, setzten die Generäle dann Aung San Suu Kyi und ihre demokratischen Mitstreiter fest und erklärten den Ausnahmezustand. Seitdem herrscht Chaos. Immer wieder sind Tausende auf den Straßen, um die erst vor einem Jahrzehnt zaghaft eingeführte Demokratie zu verteidigen. Das Militär reagiert mit der Gleichschaltung der Medien, der zeitweisen Abschaltung des Internets - und Gewalt. Rund 750 Menschen sind schon getötet worden, Tausende verhaftet. Der Konflikt spitzt sich auch deshalb zu, weil nicht nur das Militär kompromisslos ist. Die Demonstranten haben das Land mit Generalstreiks lahmgelegt.

Win Htet Oo ist nicht der einzige Sportler, der Partei ergriffen hat. Im März ging die Taekwondokämpferin Ma Kyal Sin eines Vormittags auf die Straße, um gegen den Putsch zu demonstrieren. Am Nachmittag war sie tot, erschossen. »Ihr Leben, das voll von Opferbereitschaft war, verkörpert auf perfekte Weise die Werte, die wir uns von unseren Sportsleuten erhoffen«, lobte Win Htet Oo Mitte April seine Kollegin in einem Brief an die Öffentlichkeit seines Landes, in dem er auch seinen Olympiaboykott erklärte. Schon zu Beginn der Proteste solidarisierte sich die Badmintonspielerin Thet Htar Thuzar mit der demokratischen Bewegung. Sie ist als 64. der Weltrangliste eine der populärsten Sportlerinnen Myanmars. Über Facebook hatte Thuzar die Demonstranten unterstützt und ermutigt weiterzukämpfen. Kurz darauf war ihr Profil nicht mehr verfügbar. Mittlerweile finden sich auf Facebook nur noch Fanpages mit rund 27 000 Mitgliedern. »Sie muss Druck von der Regierung erhalten haben«, erklärt sich Win Htet Oo die plötzliche Ruhe.

Auch der wohl prominenteste Sportler Myanmars steht auf der Seite der Demokratiebewegung: Aung La Nsang, mehrmaliger Weltmeister im Kampfsport Mixed Martial Arts, postete Anfang April mit dem Hashtag SaveMyanmar folgende Zeilen einer politisch engagierten Sängerin: »Wir werden nicht kapitulieren, nicht einmal am Ende der Welt; unsere Geschichte ist mit Blut geschrieben; für die Helden, die ihre Leben für uns gelassen haben; Revolution und Demokratie.«

Auch der Fußball, populärster Sport des Landes, wurde schon zur politischen Plattform. Anfang März nutzte sie der U23-Nationalspieler Hein Htet Aung, der beim malaysischen Klub Selangor FC spielt: Der 19-jährige zeigte beim Torjubel den Gruß der drei ausgestreckten Finger, den die Demokratiebewegung in Anlehnung an die Filmreihe »Tribute von Panem« nutzt. Hein wurde daraufhin mit einer einwöchigen Spielsperre belegt. »Fußball muss über Rasse, Religion und Politik stehen«, erklärte der Vorsitzende des Disziplinarkomitees des nationales Verbandes, Baljit Singh Sidhu, die Strafe.

Es ist eine Haltung, die man auch aus der olympischen Bewegung kennt. Erst Ende April wurde die Linie bekräftigt, dass Athlet*innen während ihrer Wettkämpfe und bei Siegerehrungen keine politischen Statements machen mögen. Schließlich sollen sportliche Wettbewerbe eher zur Verständigung der Menschen beitragen statt zu deren Spaltung. Wie wacklig diese Argumentation ist, zeigt sich gerade im Fall von Myanmar, wo sich ein Land zu einem Konfliktgebiet entwickelt, in dem Menschen für Kritik an gewaltsamen Machthabern um ihr Leben fürchten müssen. Dass der Sport an sich unpolitisch sein könne, treffe auf das gegenwärtige Myanmar eben nicht zu, meint der Schwimmer Win Htet Oo. »Das Myanmarische Olympische Komitee ist eine Marionettenorganisation des Militärregimes, das Luftangriffe auf wehrlose Zivilisten angeordnet hat, das friedliche Demonstranten getötet hat.« Schließlich sei der vom Putschregime eingesetzte Minister für Gesundheit und Sport zugleich Vorsitzender des Nationalen Olympischen Komitees. Im derzeitigen Myanmar funktioniere Sport als Unterdrückungsinstrument.

Was für die Argumente des Schwimmers spricht: Diejenigen Sportler, die sich auch noch nach Monaten des Konflikts unbeirrt gegen das Putschregime stellen, sind solche, die sich im Ausland aufhalten. Win Htet Oo lebt in Australien. Und hat deshalb weniger zu befürchten als seine daheim eingeschüchterten Sportskameraden.

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