Berührend und beängstigend

Für Gabriele von Arnim ist das Leben »ein vorübergehender Zustand«

  • Matthias Reichelt
  • Lesedauer: 4 Min.

»Bin so müde des Unglücks«, schrieb die Journalistin und Literaturkritikerin Gabriele von Arnim einer Freundin nach Jahren ständiger Angst, der Zustand ihres Mannes könnte sich noch weiter verschlechtern. Nun lebt er nicht mehr und sie hat ein Buch über die letzten zehn Jahre ihres Lebens an der Seite ihres schwer erkrankten Mannes veröffentlicht: »Das Leben ist ein vorübergehender Zustand«.

Neben der furchtbaren Tatsache, dass ein Mensch in einem Moment seine Sprache und die Bewegungsfreiheit einbüßt und den Rest seines Lebens in diesem Zustand verbringen muss, birgt ihre Geschichte noch ein anderes Drama, das auf Seite 131 gelüftet wird: »Wie hegt und pflegt und umkost man zehn Jahre lang einen Mann, den man gerade hatte verlassen wollen.«

Genau an jenem Tag, als von Arnim ihren Mann mit der beabsichtigten Trennung konfrontierte, brach er am Abend mit einem Schlaganfall zusammen. Sie bleibt und kümmert sich bis zu seinem Tod um ihn, doch nicht, ohne sich zu fragen, weshalb. Aus Konvention, Anstand oder Angst vor dem Urteil anderer?

Es sind die Erinnerungen an die guten gemeinsamen Zeiten, die sie motivieren. Martin Schulze (1937-2014) war politischer Journalist, Reporter und bekannter TV-Moderator, der u.a. für den »Bericht aus Bonn« zuständig war. 1996 leitete er eine TV-Diskussion zu Daniel Goldhagens Buch »Hitlers willige Vollstrecker«, man kann sie sich komplett auf YouTube ansehen, was auch heute noch lohnenswert ist. Schulz war schnell im Denken und Argumentieren, hatte immer dezidierte Meinungen, die er wortgewaltig vertrat. Für seine Frau war er auch ein »Berserker«. Wie gelingt es jemandem mit diesen Eigenschaften, mit der neuen Situation umzugehen? Von heute auf morgen aus dem sozialen Leben katapultiert zu werden, nicht mehr parlieren zu können, auf eine ganz neue Weise im Mittelpunkt zu stehen und eher mit dem Gefühl des Mitleids als mit Bewunderung betrachtet zu werden?

Mit gesundem und hellem Verstand in einem nicht mehr funktionierenden Körper, nahezu beraubt von Sprach- und Lesefähigkeit gefangen zu sein, ist furchtbar. Damit als Partnerin zurechtzukommen, ist ebenso mühsam und kräftezehrend. Wie mit dem Partner eine ganz neue Intimität leben, seinen Hintern säubern, den Dekubitus pflegen, ihn füttern und ihn dennoch als autonom zu begreifen, obgleich er seine Autonomie verloren hat? Eine Zumutung für beide Seiten, gepflastert mit Übergriffigkeit, Ungerechtigkeit, dem Hadern mit beider Unglück.

Von Arnim und Schulze gelang es offenbar, mit einer ganz neuen Zärtlichkeit zu leben, eher im Stillen, mit Blicken, Berühren der Hände, gemeinsamem Musikhören und Vorlesen. Sie organisiert in einem ausgefeilten Terminplan Freunde, die ihm aus Zeitungen oder ganze Romane vorlesen, hält aber auch an einem offenen Haus mit größeren Abendessen fest, bei denen von Arnim die mühsamen Artikulationen ihres Mannes für die Freunde übersetzen muss.

Mit unbändiger Kraft und Energie, aber auch mit den notwendigen finanziellen Mitteln, die zum behindertengerechten Ausbau der Dachwohnung ebenso wie für eine Pflegerin vorhanden sind, organisiert und bestreitet sie das gemeinsame Leben. Schmerzhaft müssen beide das Wegbleiben vermeintlich enger Freunde registrieren, die Krankheit und Todesnähe nicht aushalten können.

Die belesene Autorin zitiert Sätze aus Werken von Kolleginnen, Romanciers, Psychologen und Philosophen mit erhellend analytischen Worten und findet oftmals Trost in der Literatur. Doch letztlich hilft das nur bedingt und auch sie wird krank. Dennoch begleitet sie ihren Mann liebevoll und sensibel bis zu seinem Tod in der gemeinsamen Wohnung, wofür auch Ärzte und drohender Krankenhausaufenthalt abgewehrt werden müssen, damit das Leiden nicht auch noch verlängert wird.

»Das Leben ist ein vorübergehender Zustand« ist ein großartiges Buch geworden, ebenso berührend wie auch beängstigend. Bazon Brock hat 1967 gefordert: »Der Tod muss abgeschafft werden, diese verdammte Schweinerei muss aufhören. Wer ein Wort des Trostes spricht, ist ein Verräter.« Doch der Tod ist in vielen Fällen Erlösung, während der Weg dorthin manchmal die größere »Schweinerei« ist.

Gabriele von Arnim: Das Leben ist ein vorübergehender Zustand. Rowohlt, 235 S., geb., 22 €.

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