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  • Chinesische Universität in Ungarn

Shanghai an der Donau

In Budapest soll demnächst eine chinesische Universität entstehen. Ungarn öffnet sich damit weiter gen Osten

  • Edmond Jäger
  • Lesedauer: 5 Min.

Über 5000 Studierende sollen bald auf einem neuen Budapester Campus ihre Ausbildung aufnehmen. Das Besondere: Es ist eine Filiale der chinesischen Universität Fudan aus Shanghai. Ende April unterzeichnete die ungarische Regierung eine entsprechende Vereinbarung mit der Universitätsleitung. Das festigt nicht nur eine klare geopolitische Ausrichtung gen Osten. Es sorgt auch vor Ort für Konflikt, weil andere Bauvorhaben plötzlich weichen müssen.

Hoffnung auf chinesisches Know-how

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Die Regierung, die seit Jahren die Öffnung zum Osten propagiert, erhofft sich chinesisches Know-how und Investitionen privater chinesischer Firmen. Laut Vertrag sollen sich beide Seiten für die Ansiedlung von Forschungs- und Entwicklungsabteilungen chinesischer Firmen in Ungarn einsetzen. Realisiert werden soll das ganze Projekt mit ungarischem Geld, aber chinesischen Baufirmen. Circa 1,5 Milliarden Euro wird der ungarische Staat aus eigener Tasche und mit Hilfe eines chinesischen Kredits ausgeben. An den sich hieraus ergebenden Chancen und Problemen scheiden sich die Geister.

Kritiker bemängeln die Kosten und dass der Bau von chinesischen Firmen bewerkstelligt werden soll. Der ungarische Staat stelle das Gelände dagegen unentgeltlich zur Verfügung. In unabhängigen ungarischen Medien werden ökonomische und politische Bedenken laut. Im regierungskritischen Nachrichtenportal 444.hu wurde darauf hingewiesen, dass chinesische Universitäten nicht frei in der Lehre seien. So heißt es in der Präambel der Universität Fudan, dass sie nicht nur dem chinesischen Volk, sondern auch der kommunistischen Partei diene.

Ironischerweise hat die ansonsten stramm antikommunistische Fidesz-Partei Viktor Orbáns seit Jahren keine Berührungsängste, wenn es um China geht. In seinen jährlichen Reden an die Nation zeichnet Orbán das Bild einer Zukunft, in der autoritäre Staaten Asiens wie China aber auch die Türkei und zentralasiatische Staaten Wachstum versprechen, wohingegen dem moralischen Untergang des Westens bald dessen ökonomischer folgen werde. Schon seit Jahren lässt Orbán daher nichts unversucht, chinesische Unternehmen nach Ungarn zu holen. Doch die erhofften chinesischen Großinvestitionen blieben bislang aus. Nur einige Banken und kleinere Niederlassungen von Konzernen haben den Weg an die Donau gefunden. Erst Corona hat Ungarn, neben Serbien, zu einer bevorzugten Behandlung durch China verholfen. Großen Lieferungen des umstrittenen Impfstoffs von Sinopharm hat Ungarn seine vergleichsweise hohe Impfquote zu verdanken. Die Universität Fudan wäre nun die erste größere chinesische Investition, die Orbáns Regierung als Erfolg verbuchen könnte, um die Öffnung zum Osten als Erfolgsgeschichte präsentieren zu können.

Dass die Regierung sich Schritt für Schritt von der EU entfremdet, gefällt auch Fidesz-Anhängern nicht. Die Annäherung an China soll zeigen, dass das Land nicht allein da steht. Die Handlungsfähigkeit der EU gegenüber China leide freilich unter Ungarns Chinapolitik. Schon im April verhinderte ein ungarisches Veto die Verurteilung von Chinas neuem Sicherheitsgesetz in Hongkong auf dem Treffen der Außenminister. Damit dürfte in Zukunft noch öfter zu rechnen sein. Denn da Ungarn, anders als Griechenland oder Kroatien, keinen Hafen besitzt, mit dem es chinesisches Kapital anlocken könnte, wirft es einzig seine politische Gefälligkeit in die Waagschale.

Nicht nur außenpolitisch betrachtet kommt die Ansiedlung der Universität für die Regierung im richtigen Augenblick. Sie fällt auch in eine Zeit der größten Universitätsreform seit 1990. Diese Woche beschloss das ungarische Parlament mit seiner Fidesz-Mehrheit, alle Hochschulen in die Hand von Stiftungen zu übergeben. Die Stiftungsräte, die dann die Universitäten lenken, werden allesamt von Orbáns Fidesz ernannt und könnten auch nach einer verlorenen Parlamentswahl kaum ausgetauscht werden. Mit Protesten der Studierenden ist dieses Mal kaum zu rechnen, denn die hat die Regierung bereits im vergangenen Jahr erfolgreich ausgesessen. Die Hochschule für Film und Theater (SZFE) war 2020 für mehrere Monate von den Studierenden besetzt worden, um eine Übergabe an eine Stiftung zu verhindern - ohne Erfolg. Seitdem haben viele Studierende der SZFE an eine Universität im Ausland gewechselt. Die private Zentraleuropäische Universität (CEU) des amerikanischen Milliardärs George Soros wiederum wurde 2019 durch ein eigens gegen sie gerichtetes Gesetz gleich ganz nach Wien vertrieben. Die Ansiedlung von Fudan ist nach der Vertreibung der CEU ein Zeichen, dass Orbán den Westen nicht braucht. Solange aus Brüssel allerdings noch einige Milliarden fließen, ist es vorerst noch keine Kehrtwende, lediglich eine Kurskorrektur des Landes, deren betongewordenes Symbol der neue Campus ist.

Kein Platz für Studierendenwohnheime

Doch nicht nur aufgrund der Symbolik regt sich in der ungarischen Hauptstadt Widerstand gegen ihre Ansiedlung. Bezirksbürgermeisterin Krisztina Baranyi kritisiert, nach den Plänen der Regierung würde eine, von der Stadt- und Bezirksverwaltung am selben Ort geplante Siedlung für Studierende verdrängt. Diese würde neben Wohnheimen für über 10 000 Studierende auch Freizeit- und Kultureinrichtungen umfassen. Vor allem, sagte Baranyi dem »nd«, brauche die Stadt angesichts der jüngst unbezahlbar gewordenen Mieten dringend günstige Unterkünfte für Studierende. Da ein Teil des für den Bau benötigten Geländes dem Budapester Stadtteil Ferencváros gehört, sieht Baranyi eine Chance, die Studierendensiedlung zu retten und dafür den Bau des chinesischen Campus zu blockieren. Gemeinsam mit dem links-grünen Bürgermeister von Budapest, Gergely Karácsony, will sie einen Bürgerentscheid anstoßen. Nun liegt die links geführte Hauptstadt wieder einmal mit der rechten Regierung im Clinch. Und hierbei geht es um mehr als ein Bauprojekt.

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