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Ungeimpft im Heim

Flüchtlingsunterkünfte ohne Schutz vor Corona

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 4 Min.

Bewohner*innen und Mitarbeiter*innen von Flüchtlingsheimen wurden beim Impfen vergessen. Eigentlich waren sie aufgrund der beengten Wohnverhältnisse vom Bundesgesundheitsministerium in die Priorisierungsgruppe 2 eingeordnet worden. Doch bisher wurden lediglich drei von rund 80 Heimen des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten von mobilen Impfteams angefahren, während Angehörige der Priorisierungsgruppe 3 längst in Impfzentren, bei Haus- und Betriebsärzten geimpft werden. »Die Flüchtlinge und die Mitarbeiter*innen der Einrichtungen müssen sich jetzt hinter der Priorisierungsgruppe 3 einreihen, obwohl sie Priorisierungsgruppe 2 sind«, kritisiert Christian Lüder von dem Netzwerk »Berlin hilft«. »Das Land Berlin ist aufgerufen, für sie sofort eine eigene Impfstraße aufzubauen.« Auch Linke-Landeschefin Katina Schubert fordert eine schnelle Impfung.

Doch die Arbeit der mobilen Impfteams für Flüchtlingsunterkünfte wurde am Montag eingestellt. Grund ist, dass dort der Impfstoff Johnson & Johnson verimpft wurde, der nach aktueller Empfehlung nur noch an Menschen ab 60 Jahren oder nach einem ausführlichen ärztlichem Aufklärungsgespräch verimpft werden soll. Die meisten Geflüchteten sind jünger als 60 Jahre.

Dabei liegt die hohe Ansteckungsgefahr in den Gemeinschaftsunterkünften auf der Hand. Bewohner*innen haben dort lediglich Anspruch auf sechs Quadratmeter Wohnraum in einem Zimmer mit anderen Personen. In zwei Dritteln der Heime müssen sie sich Küchen und Toiletten mit anderen teilen. Abstand halten ist da nur schwer möglich. Jeder zwölfte der gut 18 000 Bewohner*innen wurde bisher positiv auf Covid 19 getestet. Vier von ihnen sind gestorben. Wie viele der rund 3500 Mitarbeiter*innen in den Unterkünften positiv getestet wurden und an oder mit Covid 19 verstarben, ist statistisch nicht erfasst. Dem »nd« sind mindestens zwei Todesfälle von Mitarbeitern bekannt, die positiv getestete Bewohner*innen in Quarantäne versorgen, ihr Geschirr und ihre Kleidung waschen und ihren Müll entsorgen mussten.

Das Problem betrifft auch 33 000 Menschen, die in Heimen der Bezirke unter ähnlichen Platzverhältnissen untergebracht sind. Nicht alle von ihnen, aber der größte Teil sind Flüchtlinge. Nach Angaben von Stefan Strauß von der Senatsverwaltung für Soziales waren bisher lediglich in denjenigen Heimen mobile Impfteams tätig, in denen schwerpunktmäßig pflegebedürftige Menschen untergebracht sind.

Die Stimmung unter den Mitarbeiter*innen der Flüchtlingsheime ist geladen. »Bis vergangenen Montag wurde uns versprochen, dass wir Impfcodes zugeschickt bekommen«, berichtet eine Sozialarbeiterin dem »nd«. »Dann hat Berlin die Impfungen für die Priorisierungsgruppe 3 freigegeben und es gibt keine Impfcodes mehr.« Sie hätte sich noch am selben Tag um einen Impftermin bemüht. »Aber ich habe erst einen für Ende August bekommen, deutlich später als viele Menschen der Priorisierungsgruppe 3.«

Auch in den sozialen Medien häufen sich die Beschwerden. Hätte man sich nicht auf die Behörden verlassen, wäre man bereits geimpft, beschwert sich eine Mitarbeiterin auf der Facebookseite des Landesamtes für Soziales. Besonders zynisch erscheint vielen, dass die Behörden von ihnen erwarten, dass sie positiv auf die Impfbereitschaft der Flüchtlinge einwirken, während sie selbst noch nicht geimpft sind. »Auf die Frage, seid ihr auch schon geimpft, kann ich keine Antwort geben«, schreibt eine Frau.

Dabei ist diese Aufklärung bitter nötig. Eine Heimleiterin, die lieber anonym bleiben will, berichtet dem »nd«, dass die Impfbereitschaft in ihrer Einrichtung bei nur 20 Prozent liege. »Das liegt am Fastenmonat Ramadan. Es liegt an Fakenews in ihrer Muttersprache und es liegt daran, dass sie sich als Versuchskaninchen empfinden, wenn sie den bei Deutschen kaum verwendeten Impfstoff von Johnson & Johnson erhalten.« Eine Vorbildfunktion der Mitarbeiter*innen würde die Impfbereitschaft deutlich erhöhen, glaubt sie. Immerhin liege die Impfbereitschaft bei Flüchtlingen in Bezug auf Masern oder Tetanus bei nahezu 100 Prozent.

Eine Frau, die ebenfalls nicht namentlich genannt werden will, weist auf einen weiteren Aspekt hin: Sie arbeitet in einem Heim, in dem vorwiegend schwangere Frauen und Mütter mit Babys wohnen. Für sie sind die Impfstoffe nicht zugelassen. »Eine rasche Impfung von uns Mitarbeiter*innen würde darum nicht nur uns selbst, sondern auch die schwangeren Frauen und Babys schützen.«

Das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten zeigt in einem Rundschreiben an die Heime, das »nd« vorliegt, Verständnis für den Unmut der Mitarbeitenden, empfiehlt Beschwerden aber an die zuständige Senatsverwaltung für Gesundheit zu richten. Die wiederum will sich auf nd-Anfrage nicht zu dem Thema äußern und verweist auf die Senatsverwaltung für Soziales. Dort heißt es, man suche nach einer schnellen Alternative.

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