Corona steigert Angst um den Job

Umfrage unter Hochschulmitarbeitern in Hessen zeigt: Pandemie verschärft prekäre Lage befristet Beschäftigter

Mehr Überstunden und entgrenzte Arbeit, zugleich noch weniger Anerkennung und Sorgen um die Zukunft: Das ist die Situation vieler Beschäftigter an den Hochschulen in Hessen, wie die Befragung von mehr als 3000 Mitarbeitern zeigt. Deren Ergebnisse stellten am Mittwoch Vertreter der Gewerkschaften Verdi und GEW und der Initiative »darmstadtunbefristet« auf einer Online-Pressekonferenz vor. 60 Prozent der Befragten gaben an, ihr Arbeitsstress habe seit Beginn der Pandemie zugenommen. Von den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern berichteten mehr als drei Viertel von wachsendem Arbeitsaufwand in der Lehre.

»Mit der Corona-Pandemie hat sich die Belastung an den Hochschulen noch einmal deutlich erhöht«, sagte Johannes Reinhard von »darmstadtunbefristet«. Befristet Beschäftigte seien dabei in allen Bereichen stärker betroffen. »Sie arbeiten häufiger abends und an Wochenenden, kommen öfter krank zur Arbeit und klagen stärker darüber, ständig erreichbar sein zu müssen.« 84 Prozent der Befragten gingen zudem davon aus, dass sich Forschungsvorhaben und Qualifikationsarbeiten infolge der Pandemie verzögern. Zudem seien vielen dadurch, dass Konferenzen und wissenschaftliche Tagungen abgesagt wurden, Netzwerke weggebrochen, die für ihre Karriere entscheidend seien.

Um die 85 Prozent der Teilnehmer fordern, dass ihre befristeten Verträge verlängert werden. Die Bundesregierung hatte durch eine Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) die Möglichkeit für die Hochschulen geschaffen, befristete Verträge wegen der Pandemie um zwölf Monate über den bisherigen Höchstrahmen hinaus zu verlängern. Es gebe aber keinen verbindlichen Anspruch darauf, moniert Reinhard. Verlängerungen müssten einzeln beantragt und begründet werden.

Zudem, so Gabriel Nyč, Leiter des Fachbereichs Bildung, Wissenschaft und Forschung im ver.di-Landesbezirk Hessen, gelte die Regelung nur für jene Beschäftigten, deren Stellen vom Land finanziert werden. Menschen, die in über Drittmittel finanzierten Forschungsprojekten arbeiten, können die Verlängerung nicht einmal beantragen. »Wir fordern deshalb, dass allen befristet Beschäftigten eine Verlängerung ihrer Verträge angeboten wird«, verlangte Johannes Reinhard.

Die Soziologin Ricarda Kramer verwies darauf, dass Beschäftigte mit befristeten Verträgen auch unabhängig von der aktuellen Situation unter großem Druck stehen. So geben 80 Prozent von ihnen an, sich sehr häufig oder oft Sorgen um ihre berufliche Zukunft zu machen. Von diesen Befragten fühlen sich wiederum 80 Prozent davon stark bis sehr stark belastet. »Die permanente Unsicherheit bedeutet einen enormen psychischen Druck, der potenziell krank macht«, betonte Kramer. Deshalb müssten an Hochschulen und Universitäten endlich mehr unbefristete Stellen geschaffen werden. »Das ist sowohl im Interesse der Betroffenen als auch im Sinne guter Lehre und Forschung«, betonte Kramer.

Bundesweit hat nur jeder zehnte wissenschaftliche Mitarbeiter eine unbefristete Stelle. Dies, obwohl die GEW und Verdi seit mehr als zehn Jahren unter dem Motto »Dauerstellen für Daueraufgaben« dafür kämpfen, dass mindestens die Hälfte dieser Arbeitsverhältnisse, die neben der Forschung auch die Betreuung von Studierenden und administrative Tätigkeiten umfassen, entfristet wird.

Mittlerweile wächst jedoch auch unter den administrativ-technischen Angestellten der Hochschulen der Anteil jener, die nur für begrenzte Zeit beschäftigt sind. Mehr als 18 Prozent von ihnen haben keinen unbefristeten Arbeitsvertrag. Daniel Behruzi, Sprecher der Verdi-Vertrauensleute an der TU Darmstadt, betonte, es gebe eine starke Solidarität zwischen wissenschaftlichen und technischen Mitarbeitern. Zugleich sei es ein Problem für viele Beschäftigte im wissenschaftlichen Bereich, dass sie »auf das Wohlwollen ihres Professors« angewiesen seien, wenn sie irgendwann eine Chance auf Festanstellung wollten, berichtet Behruzi. Das halte die meisten davon ab, eine feste Stelle auf gerichtlichem Weg einzufordern. Auch die Teilnahme an Aktionen für mehr unbefristete Jobs sei für viele mit Ängsten verbunden.

Gewerkschafter Nyč forderte bei der anstehenden Novellierung des hessischen Hochschulgesetzes müssten »unbedingt verbindliche Regelungen zur Ausweitung unbefristeter Beschäftigung festgeschrieben werden«. Er sieht dabei auch die Hochschulleitungen in der Pflicht. Die Gewerkschaften seien »gerne bereit, mit den Arbeitgebern in der kommenden Tarifrunde auch über tarifliche Regelungen zu sprechen, die dem Befristungsunwesen Grenzen setzen«.

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