Unsichtbar in der Zuckerwattewelt

Die Amazon-Serie »Run the World« um vier Schwarze Frauen kritisiert spürbar Rassismus und Misogynie

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 4 Min.

Fernsehformate über Schwarze Menschen gibt es viele, seit das Sklaverei-Serienepos »Roots« 1977 weltweit für Aufsehen sorgte. Auch solche mit Schwarzen Darstellern sind 52 Jahre, nachdem das Ehepaar Gordon und Susanne in die »Sesamstraße« zog, keine Rarität mehr. Selbst Serien von Schwarzen zählen dank einer wachsenden Zahl afroamerikanischer Produzenten, Schreiber, Regisseure zum TV-Kanon. Trotz Bill Cosbys spießiger Arztfamilie jedoch hatten sie meist etwas gemeinsam: Schwarze sind darin nicht nur der Hautfarbe nach Schwarze, sondern fast immer auch auf dem Gehaltskonto.

Dass People of Color verwöhnte Konsumgören sein können, ist ungeachtet der drolligen Geschichtsverdrehung in der Serie »Bridgerton« aber nicht überliefert. Bislang jedenfalls. Denn seit Sonntag fügt der Amazon-Kanal Starzplay dem Kanon fiktionaler Charaktere eine Gruppe Schwarzer mit mehr Wohl- als Verstand hinzu. Sie heißen Whitney, Ella, Renee und Sondi, leben in Harlem und haben allem Anschein der ersten sechs Folgen nach nichts anderes im Kopf als Vögeln und Kerle nebst Shopping und Karriere.

Wären die vier Hauptfiguren nicht sichtbar anders, man könnte »Run the World« mit »Sex and the City« verwechseln. Schließlich führen sie ihre makellos schönen, aufwendig gekleideten, rhythmisch wiegenden Körper wie 23 Jahre zuvor Carrie, Samantha, Charlotte und Miranda durch ein porentief reines New York spazieren, in dem es zwar überall superschicke Cafés und Boutiquen, Bars und Diskotheken gibt, aber nicht den geringsten Anflug von Armut, Arbeit oder gar Elend.

Die flamboyante Ella (Andrea Bordeaux) zum Beispiel mag zwar gerade einen Job in einer kreativen Lifestylebranche antreten; verglichen mit Libido, Party, Klamotten spielt ihr Broterwerb aber eine ähnlich beiläufige Nebenerwerbsrolle wie bei der sexuell hyperaktiven Diva Renee (Bresha Webb), die sich bald von ihrem Mann scheiden lässt. Im Gegensatz dazu steht Whitney (Amber Stevens West), die bald dem coolen Hipster Ola (Tosin Morohunfola) ihr Ja-Wort geben will und somit dem Familienglück der ehrgeizigen Sondi (Corbin Reid) nahe kommt. Was das Schwarze Frauentrio Leigh Davenport (Buch), Millicent Shelton (Regie) und Yvette Lee Bowser (Showrunner) hier zeigt, ist demnach in doppelter Hinsicht heikel.

Einerseits bedient das vorwiegend Schwarze Personal in fast jeder der 30 Minuten pro Folge rassistische Klischees lässiger, viriler, drahtiger, tänzerischer, schlagfertiger People of Color, die beim ersten Hip-Hop-Reim kollektiv abdrehen und danach sensationellen Sex haben. Andererseits überbietet das Quartett aus Harlem bisweilen den konsumsüchtigen Hedonismus der Manhattaner Originale von 1998 bis 2004 sogar noch. Emanzipation von jahrhundertelanger Benachteiligung, möchte man den Macherinnen da zurufen, besteht nicht in deren Reproduktion.

Nur: Dessen sind sich die Filmemacherinnen sehr wohl bewusst. Alle drei entstammen schließlich der dritten Welle des Feminismus, die ihre Weiblichkeit und Sexualität anders als viele Vorkämpferinnen für Frauenrechte positiver betrachten. Für unaufmerksame Zuschauer mögen all die Partys, Orgasmen und Einkaufsbummel ihrer Figuren demnach oberflächlich wirken, also im Wortsinn dämlich. Wer durch den schönen Schein dieser Zuckerwattewelt auf den Kern von »Run the World« blickt, erkennt allerdings die ständigen Verweise auf ein System, das selbst vermeintliche Gewinner strukturell benachteiligt.

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Hier ein Paar braune statt pinker Ballettschuhe, mit denen Sondi das Bewusstsein ihrer kleinen Tochter stärkt. Da ein Telefonat über weiße Vordrängler, »für die wir halt unsichtbar sind«, wie Ella der flatterhaften Renee am sündhaft teuren iPhone erklärt. Und bevor ihre Männer sich beim Football in der Sportsbar triebgesteuert nach jedem Hintern umdrehen, geht es im Gespräch garantiert ums »N-Wort«, das - Achtung, Boris Palmer! - niemand ausspricht, der davon diskriminiert würde. Nachdenkliche Comedy mit Glamour, Stil und Relevanz: zwischen »Sex and the City« und »Run the World« liegen nicht nur ein paar Jahre, sondern eben ganze Welten.

»Run the World« auf Starzplay

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