Ungeklärte Doppelbesteuerung

Bundesfinanzhof verlangt vom Gesetzgeber Änderungen bei den Regeln für über 20 Millionen Rentner

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat die derzeitige Rentenbesteuerung als grundsätzlich rechtmäßig bestätigt. Die Münchner Richter wiesen am Montag zwei Klagen gegen die laufende schrittweise Umstellung der Rentenbesteuerung bis 2040 ab. Gleichzeitig forderte das oberste deutsche Finanzgericht die Bundesregierung aber zu bestimmten Änderungen auf.

Beobachter zeigten sich überrascht, denn nach der mündlichen Verhandlung im X. Senat des BFH Ende März war ein anderer Ausgang für möglich gehalten worden. Angesichts von mehr als 21 Millionen Rentnern in Deutschland hätte ein schärferer Urteilsspruch erhebliche Auswirkungen auf die Staatskasse gehabt. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft schätzte mögliche Steuerausfälle auf bis zu 90 Milliarden Euro.

Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) dürfte nun zunächst aufatmen. Spätestens nach der Bundestagswahl könnte das Thema »Doppelbesteuerung« allerdings juristisch erneut Fahrt aufnehmen. So hatte der BFH schon vor seiner Urteilsverkündung betont, dass es sich hier um Einzelfallentscheidungen handele.

Geklagt hatten zwei Rentner. Ihrer Meinung nach kassieren die jeweils zuständigen Finanzämter bei ihnen zu hohe Steuern. Im ersten Fall (Az.: X R 20/19) meinte ein ehemaliger Zahnarzt, dass bei ihm rund 500 Euro im Jahr doppelt besteuert werden, was unzulässig sei. Im zweiten Fall (Az.: X R 33/19) wehrte sich ein früherer Steuerberater gegen die Höhe des Satzes, mit dem der steuerpflichtige Teil seiner Rente besteuert wird. Der Mann war trotz Absicherung durch ein berufsständisches Versorgungswerk freiwilliges Mitglied in der gesetzlichen Rentenversicherung geblieben. Zudem bezog er mehrere staatlich geförderte Rürup-Renten und zahlreiche Renten aus privaten Kapitalanlageprodukten. Unterstützt wurden die Kläger vom Bund der Steuerzahler.

Der Hintergrund der Urteile ist kompliziert. Ursprünglich hatte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe im Jahr 2002 die unterschiedliche Besteuerung von Beamtenpensionen und Renten für grundgesetzwidrig erklärt. Dem Gesetzgeber wurde aufgegeben, eine verfassungskonforme Neuregelung zu schaffen. Danach reformierte die rot-grüne Bundesregierung zum Januar 2005 die Einkommensteuer: Nach einer langen Umstellungsphase bis zum Jahr 2040 sollen Renten wie die Pensionen von Beamten im Grundsatz voll besteuert werden. Im Gegenzug wurden Einzahlungen in die Rente als Sonderausgaben steuerlich abziehbar. Mit dem Wechsel zur »nachgelagerten Besteuerung« wollten Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und sein grüner Koalitionspartner letztlich aber auch die sogenannten Lohnnebenkosten der Unternehmen senken, um deren internationale Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.

Für die Übergangszeit stellte der Bundesfinanzhof nun klar: »In jedem Fall sind die Besteuerung von Vorsorgeaufwendungen für die Alterssicherung und die Besteuerung von Bezügen aus dem Ergebnis der Vorsorgeaufwendungen so aufeinander abzustimmen, dass eine doppelte Besteuerung vermieden wird.« Mit anderen Worten: Was bereits der Einkommensteuer unterlegen hat, darf kein zweites Mal besteuert werden. Dass dies in der Praxis schwierig ist, räumte das Münchner Gericht unter Vorsitz von Jutta Förster schon in einem Vorab-Hintergrund ein: Wann von einer unzulässigen doppelten Besteuerung auszugehen ist, sei bislang »noch nicht in allen Einzelheiten geklärt«.

Für die Übergangsphase hatte der Gesetzgeber den Besteuerungsanteil bei Rentenbeginn im Jahr 2005 zunächst auf 50 Prozent festgesetzt. Bei späterem Rentenbeginn sollte der Besteuerungsanteil bis zum Jahr 2020 jährlich um zwei Prozent steigen, danach um ein Prozent pro Jahr, bis 2040 die »volle Steuerbarkeit« greift. Wer dann in Rente geht, muss die Basisversorgung voll versteuern. Dazu kommen diverse Sonderregelungen, etwa bei Rentenerhöhungen.

Der Vorwurf einer unzulässigen Doppelbesteuerung sei in den konkreten Fällen zwar unbegründet, erklärte der BFH. Gleichzeitig forderten die Richter aber für die Zukunft eine Änderung der Einkommensteuerregelung. Berechnungen hätten nämlich gezeigt, dass »spätere Rentnerjahrgänge von einer doppelten Besteuerung ihrer Renten betroffen sein dürften«. So sollten weder der Grundfreibetrag noch die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in die Berechnung einbezogen werden. Das Bundesfinanzministerium hatte hierzu bislang eine andere Auffassung vertreten, die jetzt aber nicht mehr haltbar ist.

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Gewerkschaften wie die IG Metall und Sozialverbände wie der VdK fordern aber weitergehende Schritte von der Politik. »Viele Ruheständler müssen heute schon mit einer Rente unterhalb der Armutsschwelle auskommen«, erklärte VdK-Präsidentin Verena Bentele. »Und darauf sollen sie dann auch noch Steuern zahlen. Das ist unzumutbar.« Der VdK fordert, dass der steuerliche Grundfreibetrag von aktuell 9744 auf 12 600 Euro angehoben wird. Die durchschnittlich überwiesene gesetzliche Rente in Deutschland liegt laut dem Sozialministerium derzeit bei 11 784 Euro.

Ein weiteres Problem sind laut Bentele die viel zu komplizierten Steuererklärungen. Es brauche deshalb ein vereinfachtes Verfahren wie etwa in Mecklenburg-Vorpommern. Dort könnten alle Rentnerinnen und Rentner auf die Abgabe einer umfassenden Einkommensteuererklärung verzichten, wenn sie allein Einnahmen aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen.

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