»Bin beim Italiener!«

»Mariana Pineda« und »La brocca rotta« an der Oper Erfurt

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 4 Min.
Einen gewissen Witz hat ja das neue Spielzeitmotto in Erfurt: »Bin beim Italiener!« - so hat Guy Montavon die angelaufene Spielzeit überschrieben. Würde man so einen lockeren Spruch von einem Politiker hören, dann fiele einem wohl bald »Untersuchungsausschuss« als Folgevokabel ein. Und nicht gutes Essen, guter Wein und dolce Vita. Man kann sich jetzt schon die fröhliche Häme vorstellen, wenn am Erfurter Opernhaus mal was nicht klappen sollte. Kein Wunder wird man sagen, der Intendant ist ja beim Italiener um die Ecke... Natürlich meint Montavon das Programm einer italienischen Spielzeit, die sich sozusagen im Mutterland der Oper quer durch die Geschichte der Gattung bedient. Von Monteverdis »L'Orfeo« über Rossinis »Barbier« bis hin zur deutschen Erstaufführung einer Leoncavallo-Operette, einer konzertanten »Boito Gioconda« und Pizzetis »Fedra«. Neben Wiederaufnahmen von »Aida«, »Traviata« und »Tosca« wird sich (diesmal hoffentlich wirklich!) Johann Kresnik Verdis »Maskenball« vornehmen. Mit diesem, sagen wir mal anspruchvollen Populismus dürfte sich das Erfurter Opernhaus nicht nur gut füllen lassen, sondern es bietet obendrein auch Neues im vertrauten Rahmen. Oper serviert wie Essen beim Italiener. Und es gibt gute Italiener in der sympathischen Thüringer Landeshauptstadt. Wo sich der Pulverdampf der kulturpolitischen Strukturscharmützel bis auf weiteres erstmal verzogen hat, gilt's also der Kunst. Da ist es allemal klüger, geistig nach Italien auszuweichen, als vergeblich den Ring-Großtaten im benachbarten, zum Staatstheater erhobenen Nationaltheater Weimar nachzuhecheln. Obwohl beim saisoneröffnenden Einakter-Doppel im Opernhaus jetzt eine Uraufführung dabei war, wirkte auch sie vertraut italienisch. Der verstörende, gar revolutionierende Aufbruch zu neuen Klangufern ist nämlich die Sache des 84-jährigen italienischen Komponisten Flavio Testi nicht. Belcanto und eine den Text illustrierende Literaturvertonung dagegen schon eher. Wenn sich da im Graben nicht auch mal ein Bläser-Patzer einschleichen würde, dann gäbe es nicht einen verstörenden Ton. Hatte Verdi noch zu Beginn seines neunten Lebensjahrzehntes mit seinem »Falstaff« für eine veritable Verstörung gesorgt, so scheint Testi im gleichen Alter mit der augenzwinkernden Botschaft aufzuwarten, dass Puccini eigentlich der Größte ist, über den man sowieso nicht hinauskommt. Dabei vermag er sich zwar zu einem gekonnten veristischen Parlando inspirieren zu lassen, erreicht allerdings mit seinem Material kaum eine wirklich emotionale Tiefe. Nun waren sein vor kurzem vollendeter Einakter »Mariana Pineda«, nach dem gleichnamigen Stück von Fedrico García Lorca, und »La brocca rotta« (1997), nach Heinrich von Kleists »Zerbrochenem Krug« eigentlich nicht als Doppel gedacht. Sie passen aber, so wie sie komponiert sind, ganz gut zusammen. Und das, obwohl die Uraufführung des Ersten in Spanisch und die deutsche Erstaufführung des Zweiten in Italienisch gesungen wurde. Das lag aber auch an der angenehm zurückhaltenden Weise, in der Regisseur Peter Hailer, Bühnenbildner Hank Irwin Kittel und Kostümbildnerin Uta Meenen die beiden Stücke auf eine Einheitsschräge mit geringen Variationen gesetzt haben. Auf der Spielfläche in Rampennähe waren die Schreibtische schnell durch die Schranken des Gesetzes zu ersetzen. Zu konkret auf ein Zeit- oder Lokalkolorit ließ sich die Regie nicht ein. Auch musikalisch wirken die tragische Romanze und die darauf folgende Komödie nicht so heterogen, wie man von den Stückvorlagen her vermuten könnte. Zudem betonte der Erfurter Kapellmeister Lorenz Aichinger am Pult der Philharmonie Erfurt eher die Ähnlichkeiten der musikalischen Diktion. Bei der dicht Lorcas Spuren folgenden »Mariana Pineda« geht es um die Geschichte einer Witwe, die am Anfang des 19. Jahrhunderts den Widerstand gegen das repressive Regime des Königs unterstützt, eine Revolutionsfahne bestickt, gar dem Revolutionär Don Pedro zur Flucht verhilft. In der Manier eines Scarpia versucht der Richter Pedrosa, sie sich gefügig zu machen. Doch sie widersteht diesen erpresserischen Avancen ebenso wie der persönlichen Enttäuschung über Don Pedro und bezahlt am Ende für ihre Gradlinigkeit mit dem Leben. Von einigen vermummten Bewaffneten einmal abgesehen, wird das als Kammerspiel erzählt. Um die zentrale Titelpartie, die von Ilia Papandreou mit beeindruckender Verve bewältigt wird, können sich besonders Erik Fenton mit tenoralem Schmelz als selbstloser Freund Fernando und Helena Zubanovich als Stiefmutter Dona Augustias eindrucksvoll profilieren. Beim »Zerbrochenen Krug« dann tauchen diese beiden als fälschlich der Krugdemolage bezichtigter Roberto und Evas Mutter Marta wieder auf. Im Zentrum steht jetzt allerdings der kantige Frank Blees als Dorfrichter Adam und Michael Tews, als Gerichtsrat, dem die Rechtsbeugung Adams fast die Schuhe auszieht. Am Ende ist Adam der aufgeflogene Missetäter und der Schreiber (Peter Umstadt) übernimmt sein Amt. In Erfurt applaudierte ein volles Haus dankbar für diese leicht verdauliche Kost.
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