London in Turbulenzen

Campbell geht, Brown schwächelt, Cameron frohlockt und EU-Europa erwartet Ärger

  • Ian King, London
  • Lesedauer: 3 Min.
Sir Menzies Campbell, Chef der britischen Liberaldemokraten, nahm dieser Tage seinen Hut, Labour-Premier Gordon Brown schwächelt und Tory-Vorsitzender David Cameron frohlockt: Die politische Landschaft Großbritanniens bebt und die Auswirkungen spürt man auch auf dem EU-Gipfel.

Liberalenchef Campbell, ein verdienstvoller Außenpolitiker, bewies anderthalb Jahre lang, dass er der Hitze der parteipolitischen Gefechte nicht gewachsen war. Dem ehemaligen Meistersprinter sah man seine 67 Jahre nur allzu deutlich an; im Parlament mangelte es dem honorigen Rechtsanwalt an Witz und Schlagfertigkeit. Die Politiker, die ihn nach dem Rücktritt des alkoholkranken Charles Kennedy als Kompromisskandidaten auf den Schild gehoben hatten, meuterten. Möchtegernnachfolger hockten beim Parteitag in den Startlöchern: Der 40-jährige innenpolitische Sprecher Nick Clegg erklärte seine Kandidatur, der 52-jährige Umweltexperte Chris Huhne dementierte seine Wünsche nur matt. Beide besuchten die gleiche teure Privatschule, Unterschiede in der politischen Linie sind auch nicht zu bemerken. Als am Wochenende Parteipräsident Simon Hughes eine »bessere öffentliche Vertretung des Liberalismus« anmahnte und der Campbell-Vize Vince Cable in dieser Woche den Chef nicht in Schutz nahm, gab der Schotte »frustriert und irritiert« auf.

In gewisser Hinsicht ist Campbell Opfer von Gordon Browns Entscheidung gegen vorzeitige Neuwahlen. 2010 wollten die Liberalen nicht mit einem Greis an der Spitze antreten. In den Umfragen werden sie mit elf Prozent zwischen optimistischen Konservativen und bekümmerten Labour-Anhängern zerrieben; beide Parteien kämpfen um die politische Mitte, für eine dritte Partei ist dort kein Platz mehr. Vom Irak-Krieg enttäuschte Wähler kehren nach Tony Blairs Rücktritt zu Labour zurück, rechts angesiedelte Liberale zeigen sich vom Tory-Versprechen, die Erbschaftsteuer zu senken, ebenfalls angetan.

Aber auch Brown sieht nach dem Aufschieben der Neuwahlen geschwächt aus. Für den Premier kam es noch dicker, als sein treuer Finanzminister Alistair Darling Labours Haushaltspläne für die nächsten Jahre enthüllte. Auch Darling verkündete eine Senkung der Erbschaftsteuer, obwohl er den Millionären nicht so weit entgegenkam wie die Opposition. Schnurstracks fanden sich Brown und Darling als Ideen-Diebe karikiert, die die Konservativen ihrer Kleider berauben wollten. Cameron gewann einen siebenprozentigen Vorsprung in den Umfragen, Brown fuhr mit gefurchter Stirn zum EU-Gipfel nach Lissabon.

Der geschwächte Premier will den britischen Wählern keine Volksabstimmung über den europäischen Reformvertrag gewähren, denn er weiß, die Rechtspresse zerfetzt alles, was aus Brüssel kommt. Nur im Parlament kommt der Vertrag durch, nicht aber, wenn das Volk darüber entscheidet. Der Grund der Ablehnung liegt jedoch nicht im Neoliberalismus des Vertragswerks oder in dessen Plänen für mehr militärische Zusammenarbeit. Für allzu viele Briten steckt Europa einfach voller verrückter oder böser Ausländer, die Knoblauch essen und kein Englisch reden.

Statt den primitiven Vorurteilen entgegenzutreten, will Brown lieber Großbritanniens »rote Linien« gegen engere Zusammenarbeit in der Justiz- und Migrationspolitik verteidigen und dort qualifizierte Mehrheitsentscheidungen im Europa der 27 verhindern. Brown möchte zwar nicht als der Lokführer gesehen werden, der den EU-Express zum Entgleisen bringt. Wenn aber andere den Zug zum Stehen bringen und die Luft aus dem Kessel herauslassen, wäre der Premier heilfroh.

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