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Erste Anhörung vor dem Kambodscha-Tribunal

Chef des Foltergefängnisses Tuol Sleng beantragt Haftverschonung

  • Lesedauer: 4 Min.
Von Michael Lenz, Phnom Penh

In Kambodschas Hauptstadt Phnom Penh begann am Dienstag die erste öffentliche Anhörung des Tribunals, vor dem sich hochrangige Funktionäre des Pol-Pot-Regimes (1975-79) verantworten müssen. In der zweitägigen Sitzung geht es um die weitere Inhaftierung des ehemaligen Gefängnis-

direktors Kang Kek Ieu alias Duch.

Der vierfache Familienvater leitete während der Terrorherrschaft von 1975 bis 1979 das berüchtigte Foltergefängnis S 21, das im ehemaligen Lyzeum Tuol Sleng in Phnom Penh eingerichtet worden war. Er soll für Folter und Ermordung von insgesamt 16 000 Häftlingen mitverantwortlich gewesen sein. Wer nicht durch die Folter starb, wurde auf den »Killing Fields« vor den Toren Phnom Penhs getötet.

Duchs Anwälte, der Kambodschaner Kar Savuth und der Franzose François Roux, hatten die Freilassung ihres Mandanten auf Kaution beantragt. Es bestehe keine Fluchtgefahr, argumentierten sie, »Duch wird sich dem Verfahren stellen und mit dem Tribunal zusammenarbeiten«. Zudem sei der Beschuldigte bereits seit 1999 ohne Verfahren in einem Militärgefängnis in Phnom Penh inhaftiert gewesen. Diese lange Untersuchungshaft von »acht Jahren, sechs Monaten und 20 Tagen« verstoße sowohl gegen kambodschanisches Recht als auch gegen die internationalen Menschenrechte.

Die Ankläger der Vorverfahrenskammer hatten vor Beginn der Anhörung erklärt, der Verdacht auf Beteiligung Duchs an Verbrechen gegen die Menschlichkeit sei »gut begründet«, eine Fluchtgefahr bestehe sehr wohl.

Duch selbst machte lediglich Angaben zur Person. »Ich bin 66 Jahre alt und von Beruf Lehrer.« Die Hände hielt der mit einem weißen Hemd, grauer Hose und schwarzen Sandalen bekleidete Duch in buddhistischer Manier vor der Brust gefaltet, obgleich er inzwischen zu einem »Wiedergeborenen Christen« geworden ist. Das Urteil zu seiner Haftbeschwerde soll im Dezember fallen. Der eigentliche Prozess wird erst im nächsten Jahr beginnen.

Das Gefängnis Tuol Sleng ist heute ein Museum. Vor einem der Zellenblocks steht noch immer das Schild mit der Lagerordnung. Regel Nummer 6 lautet: »Es ist verboten, während Auspeitschungen oder Elektroschocks zu weinen.« Erschreckend auch die Sorgfalt, mit der die Folterer über ihre Opfer Buch geführt haben. Jeder einzelne Häftling wurde fotografiert, eine Akte mit präzisen Angaben zur Person angelegt.

Duch ist einer von fünf hochrangigen Angeklagten, die sich vor den international besetzten »Außerordentlichen Kammern an den Gerichten Kambodschas« wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen verantworten müssen. Die anderen sind der erst am Montag festgenommene nominelle Staatschef des damaligen »Demokratischen Kampuchea«, Khieu Samphan, der als »Chefideologe« des Regimes bezeichnete Nuon Chea, Vizepremier und Außenminister Ieng Sary und dessen Frau, die ehemalige Sozialministerin Ieng Thirith. Der Chef des Regimes, Pol Pot, eigentlich Saloth Sar, starb bereits 1998.

Am 17. April 1975 waren seine Truppen in Phnom Penh einmarschiert. Die Bevölkerung der Metropole und anderer Städte wurde zur Zwangsarbeit aufs Land vertrieben. Jeder war gezwungen, eine schwarze Einheitskleidung zu tragen, die jede Individualität beseitigen sollte. Geld wurde abgeschafft, Bücher wurden verbrannt, Lehrer, Geschäftsleute und beinahe die gesamte intellektuelle Elite wurden Opfer mörderischer »Massensäuberungen«. Rund zwei Millionen Kambodschaner kamen ums Leben – ein Viertel der damaligen Bevölkerung.

Nay Dina erinnert sich mit Grauen an diese Zeit. Die Kambodschanerin war seinerzeit 18 Jahre alt. Sechzig Mitglieder ihrer Familie sind seit der Ära Pol Pots verschwunden. »Man sagte uns, sie würden in Umerziehungslager gebracht. Wir haben sie nie wieder gesehen«, erinnert sich Nay Dina, heute Leiterin des Khmer-Instituts für Demokratie (KID) in Phnom Penh, das in den vergangenen Monaten mit internationaler Unterstützung Polizisten in Sachen Zeugenschutz ausgebildet hat. »Wir müssen sicherstellen, dass das Tribunal fair abläuft und Zeugen keine Angst haben müssen auszusagen«, betont Nay Dina. Sie erhofft sich von den Verfahren Antwort auf eine quälende Frage: »Warum haben Kambodschaner die eigenen Landsleute umgebracht?«

Der 64 Jahre alte Maler Vann Nath ist einer von sieben Überlebenden von Tuol Sleng. Seine Kunst machte Vann Nath zu einem der wichtigsten Zeitzeugen. Er malte aus der Erinnerung Bilder über Folter und Mord in dem Gefängnis, die heute in dem Museum ausgestellt sind. Vann Nath ist bereit, als Zeuge vor dem Tribunal zu erscheinen: »Die Wahrheit muss gesagt und gezeigt werden.«

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