Polizeigesetz passiert Parlament

Knappe Mehrheit in Berlins Abgeordnetenhaus für Handyortung und mehr Videoüberwachung

  • Rainer Funke
  • Lesedauer: 3 Min.

Der rot-rote Berliner Senat ist gestern knapp einer Abstimmungsniederlage entgangen.

Bei der Verabschiedung einer Novelle zum hauptstädtischen Sicherheits- und Ordnungsgesetz votierten 74 Abgeordnete für mehr Polizeibefugnisse, 73 dagegen, zwei Abgeordnete aus der Linkspartei enthielten sich. Damit dürfen Ermittlungsbehörden auf Videoaufzeichnungen aus Bahnen und Bussen sowie von Bahnhöfen zugreifen und bei diversen Ereignissen selbst filmen, auch zur Eigensicherung bei Personen- und Fahrzeugkontrollen. Handys können geortet werden, sofern es sich um Notlagen verwirrter oder suizidgefährdeter Bürger handelt.

Evrim Baba und Mari Weiß (Linkspartei) begründeten in persönlichen Erklärungen, warum sie sich der Stimme enthalten hatten. Die Änderungen in letzter Minute hätten ihre Bedenken gegenüber einer Einschränkung der Bürgerrechte nicht ausgeräumt, so Baba. Weiß meinte, Parlamente seien auch dazu da, Bürger vor Willkür zu schützen. Das sei bei der Novellierung des Polizeigesetzes jedoch nicht gelungen.

Die Koalition hatte bekanntlich Stunden vor der Abstimmung noch zwei Passagen des Entwurfs geändert. Demnach muss der Senat bis Januar 2010 dem Parlament über Wirkungen, Umfang und Erfolg des Gesetzes berichten. Bei Bedarf könne »eventuell nachjustiert werden«, wurde angemerkt. Zudem darf die Polizei Video-Aufnahmen zur Eigensicherung nicht zu solchem Zweck speichern, sondern lediglich zur Strafverfolgung verwenden.

Die Grünen gaben ihren Protest über das Abstimmungsergebnis auf DIN-A 3-Plakaten mit abgebildeten Videokameras kund, womit sie symbolisch die Abgeordneten von Rot-Rot »filmten«.

Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann meinte, man lebe in einer gefährlichen Zeit – allerdings nicht hervorgerufen von Terrorismus und Kriminalität, sondern durch den Abbau von Bürgerrechten. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) schicke sich derzeit mit seinen ständig neuen Sicherheitsvorschlägen an, »grundlegende Prinzipien unseres Rechtsstaates umzubauen«. Mit der anvisierten vermehrten Videoüberwachung der Polizei – etwa auf Großveranstaltungen sowie Bahnhöfen – mache Innensenator Ehrhart Körting (SPD) »die Tür ein Stück auf in Schäubles Welt«, sagte Ratzmann.

Frank Henkel (CDU)begrüßte die Novelle als Verbesserung, mit der »Rot-Rot Forderungen der CDU erfüllt« habe. Er bemängelte zugleich fehlende Videoüberwachung an Kriminalitätsschwerpunkten und Nicht-Aufzeichnung von Graffiti-Straftaten, die er der Schwerkriminalität im Range der Drogenhehlerei zuordnete. »Wir werden trotz aller Verbesserungen diesen halbherzigen Entwurf nicht mittragen«, sagte Henkel.

Auch der FDP-Abgeordnete Björn Jotzo attackierte den rot-roten Senat mit den Worten: »Es geht Ihnen um ein Sicherheits-Placebo auf Kosten der Bürgerrechte.« Zuvor hatte er – wie andere Oppositionsredner – versucht, Baba und Weiß auf die andere Seite zu ziehen. »Das Gewissen kennt keine Enthaltung«, rief er aus.

Marion Seelig (Linksfraktion) bekannte, dass es bei der Novellierung um einen »Grundrechtseingriff geht, der nicht gering ist«, weshalb die Fraktion voller gemischter Gefühle an die Abstimmung gehe. Man habe sich aber gegenüber dem Koalitionspartner SPD nicht durchsetzen können.

Gegen das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung wurde am gleichen Tag ein Beschluss auf den Weg gebracht, nach dem vom Senat der Vermittlungsausschuss des Bundesrates anzurufen sei. Ziel ist eine »grundlegende Überarbeitung« des Abschnittes über das Zeugnisverweigerungsrecht für Ärzte, Journalisten und Anwälte. Damit unterstützt der Senat einen Antrag der FDP.

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