Klinkenputzen gegen das Kohlenutzen

Volksinitiative will neue Tagebaue verhindern / Unterwegs mit den Unterschriftensammlern

  • Klaus Muche
  • Lesedauer: 3 Min.

Sie haben sich die Straßen aufgeteilt. Hartmut Hoffmann radelt in die Dollenchener Straße und steigt erst am Zaun von Bernd Noack ab. Viel muss Hoffmann dem selbstständigen Schuhmachermeister nicht erklären. In Sallgast wissen sie alle, warum wieder Unterschriften gesammelt werden. Seit bekannt wurde mit welcher Hingabe die Landesregierung nach neuen Tagebaufeldern für den Energiekonzern Vattenfall sucht, ist Aufruhr in den Dörfern, die auf Kohle stehen.

In Potsdam, Lübben, Cottbus stehen sie in den Geschäftspassagen und halten den Leuten die Listen entgegen. Aber die Ernte der Unterschriftensammler ist noch mager. Das selbstgesetzte Ziel, bis Weihnachten die 20 000 nötigen Unterschriften vollständig und notariell wasserdicht zusammen zu bekommen, scheint nicht mehr so leicht erreichbar. Erst 9000 sind derzeit beisammen, heißt es.

Auch die Stromwechselpartys, auf denen die Leute massenweise zum Ökostrom wechseln können, bringen nicht den vollen Erfolg. Dabei ist das Prozedere einfach, wenn man sich überhaupt zum Wechseln entschlossen hat – zugunsten des Klimas und vielleicht auch, weil Ökostrom schon günstiger ist als der schmutzige mit den Nebenwirkungen.

Bevor allerdings die Unterschriftensammler von der Grünen Liga, von den Bündnisgrünen und der Linkspartei oder von den Kirchengemeinden zum Diskutieren kommen, machen viele einen Bogen um den Stand. 9000 Unterschriften sind viel für ein Ökothema in einem Flächenland, aber zu wenig, um das Parlament auch nur zur Behandlung der Gesetzesvorlage zu zwingen.

In Groß Jamno, einem Vorort von Forst, der auf Braunkohle steht, haben die Aktivisten ihre Unterschriften schon im Sack. Elf Männer haben sich auch hier die Straßen aufgeteilt und die Klinken geputzt. »Die wissen ja meistens gar nicht, was los ist, und wollen auch, dass es ihnen endlich mal einer erklärt«, sagt Helmut Merschink. »Nur eine Familie hat sich geweigert, aber die arbeitet auch bei Vattenfall. Und dann sind da noch Leute, die im Öffentlichen Dienst beschäftigt sind. Die sagen, dass sie Angst vor Entlassung haben.«

Das klingt verrückt und doch realistisch, wenn man sieht, welchen Druck die Regierung gegen die Volksinitiative »Keine neuen Tagebaue – für eine zukunftsfähige Energiepolitik« aufbaut, und dass eben auch der Spree-Neiße-Kreis immer noch fest in der Hand kohlefreundlicher Politiker ist. Deren Einknicken vor Vattenfall nehmen die Unterschriftensammler übel. »Wer die Heimat antastet, ist für uns nicht mehr wählbar!« Wer will, kann sich die Liste auch aus dem Internet ziehen, ausfüllen und einschicken. Auch die Gesetzesvorlage steht im Netz. Der Gesetzentwurf verlangt, dass es keine neuen Tagebaue mehr geben darf. Offen ist, ob er eine Mehrheit findet.

Bei Roland Hornick in Groß Jamno wäre das sehr anschaulich. Er wohnt fast schon mitten im Wald und in seinem Holzvergaser brennt es CO2-neutral und auch nur dann, wenn die Sonne gerade nicht scheint und die acht Quadratmeter Warmwasserkollektor nicht befeuern kann. »Wir haben ja erst gerade angefangen«, sagt der Rentner. »Jetzt sammeln wir erst mal die Unterschriften. Im Frühling machen wir unsere Stromwechselparty und dann gucken wir mal, ob wir den Strom nicht auch noch selbst produzieren können.«

Dabei sind Groß-Jamno und Sallgast nicht akut von der Zwangsumsiedlung bedroht. Zwar gibt es entsprechende Pläne, aber andere Regionen sind erst mal attraktiver, weil dort weniger Leute wohnen. In Lakoma konnten gerade noch ein paar Eichensämlinge vor dem Abraumbagger gerettet werden. Einer davon wurde kürzlich in Sallgast gleich neben der Schule und unter großer Beteiligung der Jugend gepflanzt. Wie viele Unterschriften Hartmut Hoffmann sammeln wird? »Ich denke,« sagt er schmunzelnd, »soviel wie in Groß Jamno. 80 Prozent!«

www.keine-neuen-tagebaue.de

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal