Nach der Schule zur Schicht

Arbeitende Kinder kämpfen für politische Anerkennung

  • Jutta Blume
  • Lesedauer: 4 Min.
Trotz weltweiter Ächtung von Kinderarbeit müssen Millionen von Kindern Geld verdienen. Die Bewegung arbeitender Kinder fordert daher Arbeit unter würdigen Bedingungen statt Verboten.

Aida hat mit zehn Jahren mit der Jobsuche begonnen. Sie braucht den Job nicht, um Geld zu verdienen. »Nach der Schule zu Hause herumzusitzen, war mir zu langweilig«, erzählt die Elfjährige aus Deutschland. Anders als die meisten arbeitenden Kinder in den Ländern des Südens ist die Arbeit für Aida keine ökonomische Notwendigkeit. Gemeinsam mit den Kindern armer Länder ist ihr aber, dass sie per Gesetz nicht arbeiten darf.

Um arbeitende Kinder im Norden und Süden ging es bei einer Veranstaltung des Berliner Vereins ProNATs anlässlich des »Welttags der arbeitenden Kinder«. ProNATs engagiert sich seit 2005 als Verein für die Rechte arbeitender Kinder weltweit. Die erwachsenen Unterstützer wollen allerdings, dass die Kinder grundsätzlich für sich selbst sprechen.

Kinderarbeit anerkennen
Nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) arbeiten weltweit etwa 350 Millionen Kinder, die meisten von ihnen in der Landwirtschaft. In vielen Ländern der Welt ist die Kinderarbeit in armen Familien eine ökonomische Notwendigkeit. Die internationale Anerkennung des Rechts zu arbeiten forderten Kinder und Jugendliche erstmals vor elf Jahren auf einem Treffen arbeitender Kinder im indischen Kundapur.

Um an ihre von den Regierungen der Länder ungehört gebliebene Forderung zu erinnern, rief die Bewegung außerdem den »Welttag der arbeitenden Kinder« am 9. Dezember aus. Damit grenzt sie sich bewusst vom »Welttag gegen Kinderarbeit« im Juni ab. Denn die Kinder möchten nicht ihre Arbeit abgeschafft wissen, sondern fordern deren gesellschaftliche Anerkennung. Sie streiten für eine Arbeit unter würdigen und kindgerechten Bedingungen. In der Abschlusserklärung von Kundapur fordern die arbeitenden Kinder unter anderem: »Wir sind gegen die Ausbeutung unserer Arbeit, wir wollen in Würde arbeiten und Zeit zum Lernen, Spielen und Ausruhen haben.« Aber auch: »Wir sind gegen den Boykott von Waren, die von Kindern gemacht wurden.«

Vom Unterricht in die Bäckerei
In dem Dokumentarfilm »Lisandro will arbeiten« von Manuel Fenn wünscht sich der vierzehnjährige Lisandro aus Peru Schulzeiten, die auf die Bedürfnisse berufstätiger Kinder zugeschnitten sind. Für die Beschäftigung der Kinder müsse es Schutzbestimmungen geben, meint der Vertreter einer Vereinigung arbeitender Kinder. So dürften sie nicht mehr als vier Stunden am Tag arbeiten, damit ihnen genug Zeit zum Lernen und Spielen bliebe.

In Lisandros Viertel in Lima sind die meisten Kinder auf eine Lohnarbeit angewiesen. Lisandro selbst arbeitet nach dem Unterricht in einer Bäckerei, verpackt die Brötchen und verkauft sie in der Nachbarschaft. Von seinem Verdienst bezahlt er seinen Schulbesuch, hilft aber manchmal auch der Mutter mit dem Haushaltsgeld.

»In Peru gibt es ein Gesetz, das den Kindern das Recht zu arbeiten gibt«, berichtet der Soziologe Manfred Liebel. Damit verbunden seien auch Arbeitsschutzrechte, die auf Kinder zugeschnitten sind und den Schulbesuch ermöglichen sollen. Nach Auffassung von ProNATs ist dies ein richtiger Schritt, da die Kinder so offiziell für ihre Rechte eintreten können. Trotz rechtlicher Regelungen arbeiten in Peru allerdings auch viele Kinder ganztägig unter körperlich harten Bedingungen, etwa in Bergwerken.

In Lateinamerika reichen die Wurzeln der Bewegung arbeitender Kinder und Jugendlicher, der »NATs«, bis in die 70er Jahre zurück. Die NATs halten regelmäßig Delegiertentreffen für den gesamten Kontinent ab. In der Deklaration des Treffens 2001 wenden sie sich explizit gegen die ILO-Konventionen 138 und 182 sowie dagegen, dass man Kinder verfolgt, nur weil sie arbeiten. Die Vereinbarung 138 legt das Mindestalter für die Beschäftigung mit 15 Jahren fest, wobei auch 13- bis 15-Jährige leichte Arbeiten verrichten dürfen, sofern diese ihnen nicht schaden und den Schulbesuch nicht beeinträchtigen. Die Konvention 182 bezeichnet das Übereinkommen über die Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit, dazu zählen Sklavenarbeit und Prostitution. Die Kinder verstehen die in der Konvention 182 genannten Tätigkeiten allerdings nicht mehr als Arbeit, sondern als Verbrechen gegen Kinder. »Die Bewegung hat konkrete Vorstellungen, was Alternativen zur ILO-Konvention wären«, erläutert Manfred Liebel. Die Organisationen der Kinder hätten auch versucht, in der ILO mit Sitz und Stimme vertreten zu sein, vor allem europäische Gewerkschaften hätten sich aber dagegengestellt. Nach Liebels Auffassung fußt das Kinderarbeitsverbot auch auf dem Gedanken, dass man die Konkurrenz von Kindern auf dem Arbeitsmarkt ausschließen wolle.

Indien Vorreiter in Sachen Organisation
In Asien sind die Bewegungen vor allem in Indien aktiv, wo Kinder und Jugendliche gleich ihre eigenen Gewerkschaften gegründet haben. Bal Mazdoor Sangh, die Vereinigung der arbeitenden Straßenkinder, hat heute über 300 Mitglieder und eine Organisations-struktur, die dem indischen Gewerkschaftsgesetz entspricht. Bhima Sangha erreicht sogar 13 000 Kinder und Jugendliche im Raum Bangalore. Auch in Afrika gibt es seit den 90er Jahren eine Bewegung arbeitender Kinder. Im vergangenen Jahr fand das dritte Weltdelegiertentreffen im italienischen Siena statt, auf dem die Kinder einmal mehr verlangten, in Würde arbeiten zu können. Ein Appell, der bisher ungehört verhallt.

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