Die Ressource Aufmerksamkeit

Events heute allerorten. Aber Marktplätze sind trotzdem nicht der Markt

  • Brigitte Zimmermann
  • Lesedauer: 6 Min.
Die Bankberatung als Happening
Die Bankberatung als Happening

Dieser Tage hielt es die kleine Bankfiliale in unserem Hochhaus für richtig, ihr einjähriges Bestehen mit einem eventartigen Begängnis zu feiern. Ein himmelgrünes easyCredit-Banner wehte im Wind, und vom späten Vormittag an wurde die Gegend beschallt. Mit Boney M. und anderen Köstlichkeiten. Zwischen den Titeln erklärte ein professioneller, aber unsichtbar bleibender Anjubler den Passanten immer wieder, welch bedeutendes Ereignis (Event) heute vonstatten geht. Indes blieb das Publikum jederzeit überschaubar. So easy bekommt heute keiner mehr einen Kredit. Wer ausgerechnet von einer Bank etwas will, muss ihr erstmal ordentlich etwas geben oder wenigstens gehörig solvent sein. Und solche Leute hat es in unserer Gegend zu wenig. Warum also zum ersten Jahrestag ein solcher Aufriss?

Beim Finden von Antworten könnte ein Buch behilflich sein, das den Titel »Eventkultur« trägt und von Harald Pühl und Wolfgang Schmidbauer herausgegeben wurde. Es handelt sich einschließlich des sehr instruktiven Vorworts von Schmidbauer selbst um neun teils putzgescheite Einzelbeiträge, die aus verschiedenen Perspektiven erläutern, wie wir auf den Event gekommen sind bzw. der Event über uns, was wir damit verbinden oder verbinden sollen und ob die Eventisierung unseres Lebens außer Schaden auch etwas Gutes bewirken kann. Die Bilanz fällt nicht überwiegend positiv aus, um das vorweg zu sagen. Auch deshalb muss die Selbstverständlichkeit verwundern, mit der schon im Titel Event und Kultur zum Wortzug »Eventkultur« verbunden werden. Das eine hat mit dem anderen häufig wenig zu tun. Großzügig könnte man es damit rechtfertigen, dass die künstlich gesteigerte Ereignishaftigkeit unseres Lebens, vom Dschungelcamp und Castingshows über die Fußball-WM bis zum aufwändig begangenen Jubiläum großer Firmen und kleiner Filialen, vorerst nicht mehr wegzudenken ist. Vielmehr kriecht sie überall ein. Und gehört somit in der Tat zur Kultur, wenn vielleicht auch nicht immer zu ihren besten Stücken.

Einig sind sich die Autoren und die einzige Autorin darin, alle Psychoanalytiker oder Philosophen, dass das massive Aufkommen der, bitte schön, modernen Kulturform Event maßgeblich zusammenhängt mit der von der kapitalistischen Globalisierung forcierten Auflösung tradierter sozialer Bindungen. In der Familie, in der Arbeitswelt, beim Lernen und Studieren und in der Gesellschaft überhaupt. Leistungsdruck, Konkurrenz und Unvermeidlichkeit von Mobilität wachsen, dauerhafte Beziehungen sind schwerer zu knüpfen und zu halten. Da stellen Events Fluchtpunkte aus einem standardisierten, vielfach entpersönlichten, von immer mehr Zwängen bestimmten Arbeitsalltag dar beziehungsweise Abwechslung in Zeiten der Arbeitslosigkeit. Im Event ist, wenigstens zeitweilig, das zu finden, was sonst offenbar stark entbehrt wird: das Gefühl der Geborgenheit, Aufgehobensein im Kreise Gleichgesinnter, das Zurücktreten von Unbehagen an der wenig heilen Welt, die einen sonst umgibt.

Leider wird in dem Buch kaum auf die in diesem Vorgang steckende Umkehrung im Verständnis des Freiheitsbegriffs eingegangen. Der manifestierte sich nach bisheriger landläufiger Lesart ja nicht zuletzt in einer Vielzahl individueller Handlungsmöglichkeiten. Jetzt wird, wenn die Autoren Recht haben, die größte Befreiung und Entlastung in der Großgruppe empfunden, häufig sogar einer virtuellen am Computer, während individuelle Arbeitsanforderungen immer stärker als lästig und für den Prozess der Selbstfindung weniger bedeutend angesehen werden. Welche Folgen das für ein demokratisch firmiertes Gemeinwesen haben kann, wäre wirklich zu untersuchen. Denn die Politik, sofern nicht schon selbst vom Eventfieber angesteckt, man schaue nur auf manche Parteitagsinszenierung, knüpft ihr Handeln immer noch zuerst an die Wirtschaft und deren Hauptakteure an, anderes ist nachgeordnet. Wenn aber größere Teile der Bevölkerung meinen, nur in Parallelgesellschaften noch zu sich selbst zu kommen, entsteht das, was wir heute schon teilweise haben: Es sind Wahlen und immer weniger haben Lust darauf. Höchstens am Abend auf den Event im Fernsehen, denn irgendwer muss immer erklären, warum das eigentlich famose Programm keine ausreichende Gegenliebe gefunden hat. Ohne Freude und vor allem Schadenfreude keine Events!

Fast einig sind sich die Autoren darüber, dass die Eventisierung längst auch als Machtmittel eingesetzt wird, um Belegschaften, Kunden und Öffentlichkeit an Produkte und Marken zu binden, sowie, das müsste hinzugefügt werden, an gewünschte Denkrichtungen anzunähern. Unter dem Segel von Firmenzeichen und -symbolen gibt es klare Versuche, Massen punktuell zu versammeln und neu zu organisieren. Rainer Lucas nennt das in seinem sprachlich leider ziemlich verstiegenen Beitrag »Ausdruck einer veränderten gesellschaftlichen Kommunikationskultur«. Sie breche sich nicht zuletzt deshalb Bahn, weil in unserer verflimmerten, von hektischer Schnitttechnik bestimmten Welt die »Ressource Aufmerksamkeit« ein begrenztes Gut darstellt, das mit Kleinarbeit kaum noch in den Dienst zu stellen ist. Lucas behauptet, die Ressource Aufmerksamkeit unterliege sogar eigenen Gesetzen der Erneuerung. Gemeint ist aber wohl der Regeneration, denn der Mensch vergisst ja nicht gleich alles, das schon einmal seine Aufmerksamkeit gefunden hatte.

Der Autor beklagt, dass die Unternehmen häufig eine – Achtung! – »entbettete Eventkultur« betreiben, womit das primäre Zielen auf unmittelbare Medienresonanz gemeint ist. Also Verzicht auf den direkten Dialog mit den Massen über Firmenphilosophie und Produkte und längerfristige Absichten, sondern Konzentration auf den Erlebniswert des Events und dessen positive Nachklänge bei Mitarbeitern und Käufern sowie im öffentlichen Raum. Lucas hält das für einen überwindbaren strategischen Fehler. Aber man kann es auch als zwangsläufiges Ergebnis des nach wie vor vorhandenen Unwillens namentlich der Großunternehmen ansehen, über wesentliche Vorgänge im Unternehmen überhaupt zu informieren. Herrschaftswissen gehört auch im Zuge der Eventkultur nicht auf den Marktplatz. Insofern ist die »veränderte gesellschaftliche Kommunikationskultur« in Teilen schlicht die alte geblieben. Auf diesen Zusammenhang weist leider nicht Rainer Lucas hin, sondern Wolfgang Schmidbauer in einem anderen Beitrag: »Die gleichen Manager, welche durch hektische Ausgliederungen, Umorganisationen, Entlassungen und undurchschaubare Sparmaßnahmen die emotionale Bindung an ein Unternehmen zerstören, inszenieren Ereignisse, welche Aufbruchstimmung und Gemeinsamkeit demonstrieren sollen.« Diese Leute haben auch kein Problem mit dem Widerspruch, Immobilität ihrer Angestellten als altes Denken darzustellen, gleichzeitig aber die Bindung an ihre Marke als Ausdruck unübertroffener Modernität.

Da das Buch um Gründlichkeit bemüht ist, bedauert man, dass einige Themen nur am Rande behandelt werden, ohne deren genaue Betrachtung der Komplex Eventkultur aber nicht annähernd vollständig ist. Am meisten vermisste die Rezensentin einen fundierten Beitrag über die exponierte Rolle der Medien und über die Sprache, die im Zuge der Hochjubelei von Ereignissen, Programmen und selbst von gedruckten Texten ins Freie drängt und teils der Umweltverschmutzung zugerechnet werden muss. Sogar vom Ruhm umflorte Autorinnen/ Autoren erscheinen heute zu einer Buchpremiere ja nicht mehr allein, sondern oft in Begleitung einer namhaften Persönlichkeit, die ihre neueste Hervorbringung ins rechte Licht rückt. Auch an hohen Adressen scheint das Vertrauen in die eigene Person zu schwinden. In die Analyse solcher Verhältnisse hätte auch die Werbung gehört, denn die hantiert im Eventisierungsgeschäft natürlich an zentraler Position. Ein Beitrag dazu in der Qualität der von Gudrun Brockhaus im Buch vorgelegten Zusammenstellung über die Praktiken des Nationalsozialismus auf dem Felde der Erlebnisplanung und -produktion und über die Grenzen, an die das schnell stieß, hätte das Gewicht des lesens- und vor allem bedenkenswerten Buchs erhöht.

Harald Pühl/Wolfgang Schmidbauer: »Eventkultur«, Ulrich Leutner Verlag, 240 S., 18,80 EUR.

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