Sie sang dem »Führer«

Agnes Miegel – eine anrüchige Namensgeberin für Straßen und Schulen

  • Hans Canjé
  • Lesedauer: 5 Min.

Wessen Namen trägt die Straße? Wessen Welt wird mit der Benennung von Straßen für die Gegenwart in Erinnerung gehalten? Straßennamen können Auskunft geben über das Verhältnis der Gesellschaft zu ihrer Geschichte, über die Tendenzen der Erinnerungskultur eines Volkes.

Der Sturm auf die Straßenschilder im Osten Deutschlands nach Wende und Beitritt ist ein Beispiel für gewendete Erinnerung. Ein anderes, immer noch aktuelles: In der bayerischen Stadt Regensburg sind drei Frauen, wie sie unterschiedlicher kaum sein können, auf Straßenschildern vereint. Da wäre zum einen die in Königsberg geborene Agnes Miegel (1879-1964). Sie schmiedete dem »Führer« glühende Gedichte dieser Art: »Unsere Herzen, hart von Not und Krieg,/ hat mit seinen glühenden glaubensvollen/ Worten er durchpflügt wie Ackerschollen,/ bis ein neuer Frühling in uns stieg ... Lass deine Hand/ Führer! uns vor aller Welt bekennen:/ Du und wir/ nie mehr zu trennen,/ stehen ein für unser Vaterland!« Geschrieben 1938. Zum anderen sind da Sophie-Scholl, die wegen ihres Widerstandes gegen diesen durchpflügenden »Führer« vom »Volksgerichtshof« aufs Schafott geschickt wurde, und schließlich die große Käthe Kollwitz, die mit ihren Werken so leidenschaftlich gegen Krieg und Elend anstritt.

In Erlanger gibt es ein »Literatinnenviertel«. Dicht beieinander sind hier die aufrechte Antifaschistin Ricarda Huch, die etwas zwiespältige Ina Seidel, die schwedische Nobelpreisträgerin Selma Lagerhöff – und wieder die braune Bardin Agnes Miegel auf Straßenschildern verewigt. Auch in Bremen-Habenhausen hatten die zuständigen Stellen keinerlei Probleme damit, der Lobpreiserin Hitlers eine Straße im Umfeld von Erich Kästner und Bertolt Brecht zu widmen. Miegel-Straßen finden sich landauf, landab. In Münster verläuft die Agnes-Miegel-Straße von der Gerhart-Hauptmann-Straße zur Paul-Keller-Straße.

Agnes Miegel war dem NS-Regime sehr früh und innig verbunden: »Ich wende mich täglich mehr der neuen Zeit zu«, bekannte sie im Mai 1933. Zu dieser Zeit erhielt sie ihre Berufung in die Preußische Dichterakademie, die Ricarda Huch eben unter Protest gegen das »Reich der Hölle« verlassen hatte. Die faschistischen Machthaber hatten da schon mit dem großen »Saubermachen« begonnen. Die Werke von Brecht und Kästner waren bereits als »undeutsch« auf dem Berliner Opernplatz und anderswo den Flammen übergeben worden. Miegel, seit 1937 Mitglied der NS-Frauenschaft und ab 1940 auch der NSDAP, publizierte wacker im Sinne des Regimes und wurde von diesem mit Ehrungen überhäuft: mit dem Ehrenring des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, dem Herder-Preis der Goethe-Stiftung, dem Goethe-Preis der Stadt Frankfurt, dem Ehrenzeichen der Hitlerjugend ... Letzteres erhielt sie 1939, als mit dem Überfall auf Polen der große Eroberungsfeldzug der Nazis begann. Das HJ-Ehrenzeichen war die unmittelbare Anerkennung für ihr Werk »An Deutschlands Jugend« – ein blutrünstiger Gesang, der zur Schlachtbank rief: »Jugend Deutschlands!/ Singend voran den Völkern zogst Du in Deinen Tag, den Tag der Zukunft! ...« Oder: »Volk das zum Volke fand, ...Alle im Kampf und stehen gefassten Herzens,/ Auf uns zu nehmen wie sie die Schrecken des Krieges: /Feuer und Nacht und Not und grausames Sterben,/ Wie es das Schicksal bestimmt.«

Angesichts ihrer »Dienstleistungen« vornehmlich zur Doktrinierung der Jugend, ist es mehr als fragwürdig, wieso die von den revanchistischen Landsmannschaften und in den einschlägigen braunen Druckerzeugnissen gefeierte »Mutter Ostpreußens« auch Namensgeberin für zahlreiche Schulen im Nachkriegswestdeutschland werden konnte und immer noch ist. In der laut stadteigenen Internetseite »familienfreundlichen Friedensstadt« Osnabrück z. B. befindet sich die Agnes-Miegel-Realschule in unmittelbarer Nähe eines nach dem Hitler-Attentäter Graf von Stauffenberg benannten Gymnasiums. Als »namhafte Dichterin« wird sie auf der Homepage der Agnes-Miegel-Schule in Wilhelmshaven gefeiert, ohne dass ihre Tätigkeit zwischen 1933 und 1945 auch nur erwähnt wird. Die zwölf Jahre sind schlichtweg ausgeklammert. Eine Miegel-Schule gibt es auch im rheinischen Willich und und und ... Die Versuche engagierter Bürger etwa in Erlangen oder im nordrhein-westfälischem Herten, der »Miegelei« ein Ende zu bereiten, sind gescheitert.

1945 ist Agnes Miegel vor der herannahenden Roten Armee nach Dänemark geflüchtet, wo sie die Alliierten als NS-Aktivistin internierten. 1948 wurde sie im niedersächsischen Bad Nenndorf ansässig und zur Ehrenbürgerin ernannt. Ihre letzte Wohnstätte dort ist heute Gedenkstätte: das Agnes-Miegel-Haus am Agnes-Miegel-Platz 3, davor steht ein Denkmal für sie. Ein in Münster beheimatetes »Agnes-Miegel-Kuratorium« verleiht eine nach ihr benannte Plakette (die es schon 1936 gab), eine Miegel-Gesellschaft im Dunstkreis der »Landsmannschaft Ostpreußen« veranstalte Miegel-Tage. Sie wird gefeiert in Blättern der Landsmannschaften und in der neofaschistischen Zeitschrift »Nation Europa«. 1964 wurde sie zu ihrem 85. Geburtstag in dem vom Schild-Verlag herausgegeben »Deutschen Soldatenjahrbuch« als »Deutschlands größte lebende Schriftstellerin« gefeiert, die »als Tochter dieses wehrhaften Grenzlandes auch mit Generationen deutscher Soldaten verbunden« gewesen sei.

Agnes Miegel selbst brachte ihre unrühmliche Rolle im »Tausendjährigen Reich« mit einem Satz hinter sich: »Dies habe ich mit meinem Gott alleine abzumachen und mit niemand sonst.« Das haben wohl auch die Regierenden des Freistaates Bayern so gesehen, als sie ihr 1959 zum 80. Geburtstag den Großen Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste verliehen. Das machte die Frau gesellschaftsfähig. Da mochte die Deutsche Bundespost nicht nachstehen und erhob sie zu ihrem 100. Geburtstag postum mit einer Briefmarke in den Rang der Unsterblichen. Erstaunlich, dass selbst eine vor sechs Jahren erschienene, entlarvende Schrift, »Agnes Miegel – Propagandistin des NS-Regimes«, veröffentlicht vom Hertener Aktionsbündnis gegen Neofaschismus, der »Miegelei« kein Ende bereiten konnte.

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