Rabenmutter aus Lethargie

TV vorab: Kindesvernachlässigung

  • F.-B. Habel
  • Lesedauer: 2 Min.

Was macht ein kleiner Junge, wenn er stundenlang allein in einem fremden Zimmer eingeschlossen ist? Zuerst ist er entdeckungsfreudig, aber dann, wenn alles entdeckt ist und Hunger und Durst ihn plagen? Allzu oft haben wir in letzter Zeit von Fällen gehört, in denen Kinder vernachlässigt wurden, wenn überforderte Eltern ihre Kinder einfach vergessen wollten.

Stefanie Kremser hat einen solchen Fall der Wirklichkeit entlehnt und zu einem Kriminalfall der »Tatort«-Reihe verarbeitet. Die Autorin porträtiert eine junge Mutter, die ihren Sohn mit vierzehn Jahren bekam und nun, selbst fast ein Kind noch, von ihrer Situation als alleinstehende Mutter überfordert ist. Doch sie will selbständig sein, sich nicht helfen lassen. Wenn der Druck zu groß ist, kann sie auch ausrasten, um dann in Lethargie zu erstarren. Hauptdarstellerin Janina Stopper zeichnet diese junge Anne als einen einerseits lebenslustigen und schlagfertigen, andererseits verschlossenen Menschen, der seine Fantasie nur in Lügengebäuden auslebt.

Diese Folge des Münchner »Tatorts« kommt weitgehend ohne den manchmal etwas angeschafften Humor der Kriminalisten Leitmayr und Batic (Udo Wachtveitl, Miroslav Nemec) aus – nur Star-Kabarettist Django Asül hat einen komischen Auftritt. Die Kamera (Ralph Netzer) hat dem Film bewusst blasse Farben und Regisseur Filippos Tsitos einen ernsten Grundton gegeben, zu dem auch der akzentuierte Musikeinsatz (Josepha van der Schoot) gehört. Neben Janina Stopper und Felix, dem Darsteller des kleinen Tim, haben der junge Max Mauff, Eisi Gulp und Gerd Lohmeyer wichtige Szenen zu tragen.

Ist Anne eine Rabenmutter? Kann man hier das Klischee von Opfer und Täter in einem anwenden? Wo liegt das Versagen der Umwelt? Der Film wirft viele Fragen auf, die uns alle angehen.

Tatort: Kleine Herzen. ARD, Sonntag, 20.15 Uhr

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