Relevanter Kitsch

Ab Sonntag: ZDF-Neuverfilmung von Tolstois »Krieg und Frieden«

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 4 Min.

Historiendrama ist ein mächtiger Begriff. Eine Art äußere Wallanlage um die TV-Events genannten Festungen fiktiver Fernsehunterhaltung von heute. Seit Langem lechzt das Publikum nach bombastischen Filmen, will sie so spektakulär wie möglich inszeniert sehen und verlangt dabei nach geschichtsträchtigen Stoffen. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis sich eine der zuständigen Produktionsfirmen wie EOS mal wieder um die größte aller blockbustertauglichen Romanvorlagen kümmert: »Krieg und Frieden«, Lew Tolstois Mutter aller Monumentalthemen, das »Ben Hur« der Neuzeit und nicht zuletzt Stichwortgeberin für das zweitgrößte Familienkriegsepos namens »Vom Winde verweht«. Von Sonntag an zeigt das ZDF seine Neuverfilmung von »Krieg und Frieden«, eine internationale Koproduktion, die besser ist, als es das verhunzte Genre teurer Historiendramen verheißt.

Zu dumm, dass man als anspruchsvoller Zuschauer ängstlich auf die Sendetermine baugleicher Mehrteiler blicken muss. Schmalzige Desaster wie »Die Luftbrücke«, ästhetische Frechheiten wie »Die Sturmflut« oder subtile Geschichtsverdrehungen wie »Die Flucht« haben die Latte für realitätsbezogene Filme technisch zwar gelüftet, dramaturgisch jedoch auf Bodenhöhe gesenkt. Da kommt »Krieg und Frieden« einem Befreiungsschlag gleich. Schließlich haben sieben Länder über 13 Monate 25 Millionen Euro für sieben Stunden Sendezeit verpulvert. Herausgekommen ist ein ansehnliches Stück Fernsehliteratur. Nicht grad jenes »Wunder«, von dem die Zeitungen in Italien, wo die internationale Koproduktion vor über fünf Millionen Zusehern lief, schwärmten. Auch kein »großes Fresko«, wie es französische Medien vor der erfolgreichen Ausstrahlung im November formulierten. Und schon gar nicht das, was der »Spiegel« in seiner Eloge auf derartiges Gefühlskino verbreitet: Alles ist gut.

Alles ist nicht gut, aber immerhin so einiges. Und das ist bei all der Gefühlsduseligkeit vergangener Historiendramen schon eine ganze Menge. Denn natürlich liegt ein unsäglicher Streicherquark über jeder halbwegs anrührenden Szene. Wie immer ist alles arg dick aufgetragen – die malerischen Kostüme aus den Fundus halb Europas, das Statistenheer von gut 7000 Namenlosen, die Überhöhung jedes Wesenszuges und Überzeichnung aller Spannungsbögen. Und selbstredend retten die Helden auch dort mal kleine Kinder oder laben entkräftete Soldaten, wo im Buch kein Wort davon steht.

So sind die Gesetze des quotenstarken TV-Melodrams. Aber alles geschieht in Maßen, schauspielerisch überzeugend und den Vorbildern irgendwie angemessen. Denn die haben das dicke Stück Weltliteratur über drei russische Adelsfamilien in den Wirren der napoleonischen Kriege auf zeitgemäß höchstem Niveau erzählt. 1956 war es King Vidor, der mit Audrey Hepburn den polycolorierten Prototyp der feenhaften Kämpfernatur schuf. Und abgesehen von Woody Allens Siebzigerjahre-Groteske »Die letzte Nacht des Boris Gruschenko« gab es nur eine weitere Annäherung, wenn auch die aufwändigste der Filmgeschichte: Sergej Bondartschuks Version von 1968, die »Mondlandung der Sowjetunion«, wie es hieß, als bis zu 40 000 Rotarmisten drei Jahre lang an den Kulissen dienten und ebenso lang geriet wie die neue Fassung, nur um ein Vielfaches teurer. Denn statt eines Etats gab es nur Kostenbedarf. Er war wohl gigantisch. Auf Fernsehniveau trifft dies nun auch in der digitalisierten Neufassung des österreichischen Regisseurs Robert Dornhelm zu und befeuert somit den Trend zum Gigantismus der TV-Unterhaltung. Selbst nationale Alleingänge wie »Dresden« knackten in diesem Sog die Marke achtstelliger Produktionskosten und ein Ende ist nicht in Sicht, wenn das ZDF sogar in Dokumentationen einen Minutenpreis auf »Tatort«-Niveau investiert.

Schließlich ist das Publikum bei der televisionären Abendgestaltung sonderbar ambivalent. Während einerseits billige Zuschauerbeschimpfungen à la »Bauer sucht Frau« oder die sonntäglichen Seniorensedierungen im ZDF zehn und mehr Millionen Menschen erreichen, wächst andererseits der Bedarf nach opulenter Fiktion seit Jahren. Und während die öffentlich-rechtliche Nachrichtenschiene kontinuierlich an Reichweite einbüßt, boomt das Infotainment genannte Wissensfernsehen auf allen Kanälen. Doch genau diese Diskrepanz dürfte Dornhelms Erfolg ausmachen. Denn sein »Krieg und Frieden« bewegt sich konsequent auf der Schneide zwischen historischer Relevanz und Kostümballkitsch, zwischen faktischer Authentizität und Groschenromanheididei.

Das beste aber: Er hält dabei die Waage. Und dabei sollten wir zutiefst dankbar sein, dass Natascha Rostow nicht von Veronica Ferres, sondern von der betörenden Clémence Poésy dargestellt wurde, und Andrej Bolkonski von Alessio Boni statt von Heino Ferch. Die Überraschung des Castings aber ist Alexander Beyer als Hauptfigur Pierre, der als tapsiger Berufsossi bislang nur in »Sonnenallee« oder »Goodbye Lenin« aufgefallen war. Und dass das ewige Talent Ken Duken endlich mal ein echtes Arschloch spielt, dürfte ihn nachhaltig als einen der besten deutschen Akteure im Gedächtnis halten. Am meisten auf ihre Kosten dürften allerdings Fans ausgedehnter Schlachtgemetzel sein. Keine Frage – der Tod ist ein Freund des Historiendramas. Wie das Happyend.

Sendetermine: Sonntag, Mittwoch, 20.15 Uhr, ZDF

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