Aufschwung ohne Schwung

  • Rudolf Hickel
  • Lesedauer: 3 Min.
»Erforderlich ist 2008 eine wachsame Beobachtung der Konjunktur. Hurraoptimismus ist Gift.«
»Erforderlich ist 2008 eine wachsame Beobachtung der Konjunktur. Hurraoptimismus ist Gift.«

Die für das Jahr 2007 erzeugte Zuversicht über den Aufschwung, eine steigende Beschäftigung und sinkende Arbeitslosigkeit will die Mehrheit der Konjunkturforschungsinstitute unbedingt für 2008 retten. So setzte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung bei der Vorstellung der neuen Prognose kürzlich auf Optimismus: Die Wirtschaft werde erneut, allerdings etwas reduziert, um 2,1 Prozent wachsen. Wen stört schon die kleine Abschwächung – ein neues Aufschwungjahr wird verkündet. Die Dynamik werde ausreichen, die registrierte Arbeitslosigkeit unter 3,5 Millionen zu drücken.

Dieser Prognosemut überrascht. Denn externe und interne Risiken, die wieder in die Stagnation, ja in die Rezession führen können, liegen auf der Hand. Dazu zählen die noch nicht genau absehbaren Folgen der Finanzmarktkrise auf die deutsche Wirtschaft und die kaum vorhersehbare Entwicklung der Energiepreise. Gegenüber der verbreiteten Zuversicht der »Beratungswissenschaft« wirkt die zurückhaltende Vorgabe eines Wirt-schaftswachstums von 1,5 bis 2 Prozent durch die Bundesregierung geradezu wohltuend.

Was für das Jahr 2008 jedoch gebraucht wird, ist eine schonungslose Nennung der ökonomischen Risiken, um den Handlungsbedarf zu erkennen. Schon der Blick auf die von den Prognoseoptimisten beschworenen Triebkräfte des Aufschwungs gibt Anlass zur Sorge. Während die Exportwirtschaft Einbußen auch wegen der Aufwertung des Euros gegenüber dem US-Dollar hinnehmen muss, wird die Binnenwirtschaft plötzlich zum Retter der Konjunktur. Da aber die unternehmerische Bereitschaft, in Anlagen zu investieren, deutlich zurückgehen wird, gilt der Schwur auf die Binnennachfrage dem privaten Konsum, der nach einem leichten Rückgang in 2007 nun anspringen soll. Wo soll dieser Umschwung herkommen? Ziemlich schlicht wird unterstellt, dass die steigende Beschäftigung zu expandierenden Arbeitseinkommen führt, die schnurstracks für den Konsum ausgegeben werden. Diese Monokausalität offenbart einen peinlichen Realitätsverlust der Modellrechner. Tatsächlich verbirgt sich hinter dem Anstieg der Beschäftigung die Ausweitung der schlechter bezahlten Leih- und Zeitarbeit sowie der geringfügig Beschäftigen – der Jobber also, die über kein existenzsicherndes Arbeitseinkommen verfügen. Darüber hinaus würde bei dem prognostizierten Anstieg der effektiven Löhne um 2,6 Prozent in diesem Jahr nach Verrechnung der Inflationsrate die reale Kaufkraft wie schon seit Jahren eher stagnieren. Und schließlich wird Arbeitseinkommen, wenn es nur irgendwie geht, gespart: Groß ist nämlich die Angst, Einbußen bei der Entlohnung hinnehmen zu müssen oder gar den Job zu verlieren. Hinzu kommt der Sparzwang für die Altersvorsorge durch den Abbau der gesetzlichen Mindestsicherung.

Erforderlich ist 2008 eine wachsame Beobachtung der Konjunktur. Hurraoptimismus ist Gift. Eine gestaltende Politik müsste frühzeitig zum Tragen kommen. Schwerpunkte im Inland sind eine expansive Lohnpolitik mit einem Zuwachs der Arbeitseinkommen um nominal mehr als vier Prozent und die Einführung eines Mindestlohns zur Vermeidung von nicht existenzsichernden Arbeitseinkommen. Ferner müssten öffentliche Gelder in den Bildungsbereich, in die Infrastruktur für die Vereinbarung von Familie und Beruf sowie in die Umwelt investiert werden. Und die Politik sollte der Preistreiberei im Energiesektor durch Entflechtung der Großanbieter sowie in der Nahrungsmittelindustrie durch verstärkte Wettbewerbskontrollen einen Riegel vorschieben.

Immer freitags: In der ND-Wirtschaftskolumne erläutern der Philosoph Robert Kurz, der Ökonom Harry Nick, die Wirtschaftsexpertin Christa Luft und der Wissenschaftler Rudolf Hickel Hintergründe aktueller Vorgänge.

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